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Adressat unbekannt

Adressat unbekannt

Titel: Adressat unbekannt
Autoren: Dorothee Böhm
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machen konnte? Was hätte ich tun können? Ich habe mich nicht einmal getraut, es auch nur zu versuchen. Ich bitte Dich inständig, nicht meinethalben, aber wegen Elsa und der Kinder – denk daran, was es für sie bedeutet, wenn ich verhaftet werde und sie im ungewissen sind, ob ich lebe oder tot bin. Weißt Du, was es heißt, in ein Konzentrationslager gebracht zu werden? Willst Du, daß ich vor die Wand gestellt werde und sich die Gewehrläufe auf mich richten? Ich flehe Dich an, hör auf damit. Mach dem ein Ende, solange noch nicht alles zerstört ist. Ich fürchte um mein Leben, Max, um mein Leben.
    Bist Du es, der das tut? Das kannst nicht Du sein. Ich habe Dich wie einen Bruder geliebt, mein alter Maxel. Mein Gott, hast Du kein Mitleid? Ich bitte Dich, Max, hör auf damit, hör auf damit! Beende es, solange für mich noch Aussicht auf Rettung besteht. Ich bitte Dich von ganzem Herzen und aus alter Freundschaft darum.
    Martin

GALERIE EISENSTEIN
SAN FRANCISCO, KALIFORNIEN, U.S.A.
    15. Februar 1934
    Herrn Martin Schulse
Schloß Rantzenburg
München, Deutschland
    Martin, unser lieber Freund,
    150 Millimeter Niederschlag in 18 Tagen hier. Was für eine Jahreszeit! Eine Schiffsladung mit 1500 Pinseln sollte dieses Wochenende bei der Berliner Ortsgruppe Deiner Maler eintreffen. Dadurch gewinnen sie ein wenig Zeit, um vor der großen Ausstellung noch zu üben. Amerikanische Förderer werden mit dem Malerbedarf aushelfen, der beschafft werden kann, aber Du mußt die letzten Arrangements treffen. Wir sind viel zu weit weg, um den europäischen Markt gut zu kennen, und Du wirst sehr viel besser abschätzen können, welches Maß an Unterstützung so eine Ausstellung in Deutschland erfordert. Bereite folgende Stücke für die Auslieferung am 24. März vor: Rubens, 12 auf 77, blau; Giotto, 1 auf 317, grün und weiß; Poussin, 20 auf 90, rot und weiß.
    Der junge Blum ist letzten Freitag mit den Picasso-Spezifikationen abgereist. Er wird die Ölfarben in Hamburg und Leipzig deponieren und danach zu Deiner Verfügung stehen.
    Viel Erfolg für Dich!
Eisenstein

GALERIE EISENSTEIN
SAN FRANCISCO, KALIFORNIEN, U.S.A.
    3. März 1934
    Herrn Martin Schulse
Schloß Rantzenburg
München, Deutschland
    Martin, unser lieber Bruder,
    Cousin Julius hat zwei Söhne, beide wiegen neun Pfund. Die Familie ist sehr glücklich. Wir glauben alle fest an den Erfolg Deiner Ausstellung junger Künstler, die bald eröffnet wird. Die letzte Schiffssendung mit Leinwänden hat sich wegen Schwierigkeiten mit dem internationalen Wechselgeschäft ein bißchen verzögert, wird die Berliner Gruppe aber rechtzeitig erreichen. Du kannst die Sammlung der Reproduktionen jetzt als komplett betrachten. Die größte Unterstützung wirst Du von den Picasso-Enthusiasten erwarten dürfen, aber vernachlässige nicht die anderen Linien.
    Wir überlassen Deiner Besonnenheit alle letztgültigen Pläne, aber dringe auf einen frühestmöglichen Termin, um der Ausstellung wirklich den vollen Erfolg zu sichern.
    Der Gott Mosis stehe Dir zur Seite.
    Eisenstein



NACHWORT
    von Lois Rosenthal
Herausgeberin der Zeitschrift Story
    ›Adressat unbekannt‹ von Kressmann Taylor wurde erstmals 1938 in der September/Oktober-Ausgabe der New Yorker Zeitschrift Story veröffentlicht und erregte sogleich ungeheures Aufsehen. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt hat der fiktive Briefwechsel zwischen einem Amerikaner, der in San Francisco lebt, und seinem früheren Geschäftspartner, der nach Deutschland zurückgekehrt ist, das zersetzende Gift des Nationalsozialismus erzählerisch dargestellt.
    Whit Burnett, der Gründungsherausgeber von Story, berichtete, daß die gesamte Auflage dieser Ausgabe innerhalb von zehn Tagen ausverkauft gewesen sei. Begeisterte Leser hätten Kopien der Geschichte angefertigt, um sie Freunden schicken zu können. Walter Winchell rühmte ›Adressat unbekannt‹ als »einen der besten Beiträge des Monats, etwas, das Sie nicht versäumen sollten«. Später druckte Reader’s Digest für seine drei Millionen Leser eine gekürzte Fassung ab. Filmproduzenten riefen in der Redaktion an. Die Anfragen nach Übersetzungsrechten häuften sich.
    1939 brachte Simon & Schuster ›Adressat unbekannt‹ als Buch heraus und verkaufte 50 000 Exemplare – eine enorm hohe Zahl in diesen Jahren. In einer Besprechung der New York Times Book Review hieß es: »Diese moderne Geschichte ist die Perfektion selbst. Sie ist die stärkste Anklage gegen den Nationalsozialismus, die man
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