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Adressat unbekannt

Adressat unbekannt

Titel: Adressat unbekannt
Autoren: Dorothee Böhm
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Kraft. Doch dann kommt wieder die Sonne hervor, und obwohl man dieses Erlebnis nie mehr ganz vergißt, hinterläßt es nur Sanftheit, keinen Kummer. Es wäre Dir – ebensowenig wie mir – unter anderen Vorzeichen gar nicht passiert. Ich habe Griselle nicht geschrieben, daß Du in Europa bist, aber vielleicht sollte ich es tun, wenn Du es auch für klug hältst. Griselle schließt nicht leicht Freundschaften, und ich weiß, sie wäre froh, Freunde nicht weit entfernt von ihr zu wissen.
    Vierzehn Jahre seit Kriegsende! Hast Du das Datum rot in Deinem Kalender markiert? Welch weiten Weg wir gegangen sind – wir als Völker – seit dieser so bitteren Erfahrung!
    Mein lieber Martin, sei in Gedanken nochmals umarmt, und grüße Elsa und die Jungen aufs herzlichste von mir.
    Dein wie immer treu ergebener
Max

SCHLOSS RANTZENBURG
MÜNCHEN, DEUTSCHLAND
    10. Dezember 1932
    Mr. Max Eisenstein
Galerie Schulse-Eisenstein
San Francisco, Kalifornien, U.S.A.
    Max, mein teurer alter Gefährte,
    die Abrechnungen und Kontoauszüge sind prompt bei mir eingetroffen, wofür ich Dir herzlich danke. Aber fühle Dich bitte nicht dazu verpflichtet, mir unsere Geschäfte in aller Ausführlichkeit darzulegen. Du weißt, daß ich mit allem einverstanden bin, was Du tust. Und ich bin hier in München mit meinen neuen Angelegenheiten mehr als ausgelastet. Wir sind nun eingerichtet, aber was war das für ein Aufstand! Wie Du weißt, hatte ich das Haus schon lange im Auge. Und ich habe es zu einem ausgesprochen günstigen Preis erworben. Dreißig Zimmer und ein viereinhalb Hektar großes Parkgrundstück. Du würdest Deinen Augen nicht trauen. Andererseits würdest Du die Armut mißbilligen, die in diesem traurigen Land, meinem Vaterland, herrscht. Die Bedienstetenwohnungen, die Ställe und Nebengebäude sind äußerst weitläufig, und Du wirst es nicht glauben, wir beschäftigen jetzt zehn Angestellte für dasselbe Gehalt, das wir unseren beiden Leuten in San Francisco bezahlt haben.
    Die Wandteppiche und Kunstwerke, die wir aus Amerika mitgebracht haben, machen sich ausnehmend gut. Dazu sind nun noch einige ausgesuchte Möbelstücke gekommen, die ich erstehen konnte. Ich denke, wir werden für dieses Haus sehr bewundert, um nicht zu sagen, wir werden darum beneidet. Ich habe vier vollständige Service aus feinstem Porzellan gekauft, einiges an Kristall und dazu noch ein komplettes Silberservice, das Elsa in Entzücken versetzt.
    Ach, Elsa – sie ist zuweilen herrlich! Ich weiß, Du wirst mit mir darüber lachen können. Ich habe für sie ein riesiges Bett gekauft. Ein Bett von nie zuvor erreichten Ausmaßen, doppelt so breit wie ein gewöhnliches Doppelbett, mit hohen, geschnitzten Holzpfosten. Ich mußte die Laken eigens anfertigen lassen, weil es keine passenden in dieser Größe zu kaufen gab. Sie sind aus Leinen, Tücher aus allerfeinstem Leinen. Elsa lacht und lacht, und ihre alte Großmutter steht kopfschüttelnd daneben und grummelt: »Nein, Martin, nein. Was hast du bloß gemacht? Jetzt mußt du achtgeben, sonst wird sie so dick, daß sie in das Bett hineinpaßt.«
    »Ja«, antwortet Elsa, »noch fünf Jungen mehr, dann passe ich genau hinein, und es wird recht gemütlich.« Und genauso wird es kommen, Max.
    Für die Jungen haben wir drei Ponys (die Kleinen, Karl und Wolfgang, sind noch nicht groß genug zum Reiten) und einen Hauslehrer. Ihr Deutsch ist sehr schlecht, viel zu sehr mit Englisch durchmischt.
    Für Elsas Familie ist die Situation nicht ganz leicht jetzt. Die Brüder sind inzwischen alle berufstätig, und obwohl sie für ihre Arbeit sehr geschätzt werden, sind sie finanziell gezwungen, alle in einem Haus zu leben. In den Augen der Familie sind wir amerikanische Millionäre. Davon kann nun gar nicht die Rede sein, doch dank unseres amerikanischen Einkommens zählen wir hier zu den Vermögenden. Hochwertige Lebensmittel sind ausgesprochen teuer, und es gibt politische Unruhen, selbst jetzt noch, unter der Präsidentschaft Hindenburgs, eines feinsinnigen Liberalen, den ich sehr bewundere.
    Alte Bekannte beginnen mich bereits zu bedrängen, ich solle mich für ein Amt in der Stadtverwaltung zur Verfügung stellen. Dieses Ansinnen will ich gern bedenken, denn es könnte uns hier von Nutzen sein, wenn ich mich in öffentlichen Angelegenheiten engagierte.
    Was Dich angeht, mein guter Max, wir haben Dich allein gelassen, aber Du darfst kein Misanthrop werden. Sieh zu, daß Du schnell eine nette, dicke, kleine Frau findest, die
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