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Adressat unbekannt

Adressat unbekannt

Titel: Adressat unbekannt
Autoren: Dorothee Böhm
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sich um Dein Wohlergehen kümmert und Dich fleißig bekocht, bis sich Deine Laune wieder aufheitert. Dies ist mein Ratschlag, und er ist gut, obwohl ich lachen muß, während ich ihn niederschreibe.
    Du berichtest von Griselle. Sie verdient ihren Erfolg so sehr, die Süße. Ich freue mich mit Dir, wenngleich ich mich sogar jetzt noch ärgere, daß sie sich ihren Weg erkämpfen muß, ein Mädchen allein. Jeder Mann erkennt auf Anhieb, daß sie ein Geschöpf ist, das für den Luxus erschaffen wurde, für Hingabe, für ein angenehmes und schönes Leben, dessen Behaglichkeit ihr den Freiraum zur Entfaltung ihrer Empfindsamkeit bietet. In ihren dunklen Augen spiegelt sich eine weiche, tapfere Seele, aber es gibt auch eine unerbittliche Stärke und etwas Wagemutiges in ihr. Sie ist eine Frau, die nichts leichtfertig macht oder gibt. Ach, Max, wie immer verrate ich mich selbst. Obwohl Du während unserer stürmischen Affäre geschwiegen hast, weißt Du, daß mir die Entscheidung nicht leichtgefallen ist. Du hast mir, Deinem Freund, nie einen Vorwurf gemacht, während Deine kleine Schwester litt. Und ich hatte immer das Gefühl, Du wußtest, daß auch ich litt, ganz furchtbar sogar.
    Was konnte ich denn tun? Da waren Elsa und meine kleinen Söhne. Es gab keine andere Möglichkeit. Dennoch empfinde ich eine Zärtlichkeit für Griselle, die auch dann noch andauern wird, wenn sie längst einen viel jüngeren Mann gefunden hat, der sie lieben und heiraten wird. Die alte Wunde ist verheilt, aber die Narbe juckt zuweilen, mein Freund.
    Ich bitte Dich, ihr unsere Adresse zu geben. Wir sind so nah an Wien, daß sie das Gefühl haben kann, nicht weit von ihr sei ein Zuhause für sie. Elsa weiß nichts von der alten Leidenschaft zwischen uns, und Du kannst Dir vorstellen, mit welcher Wärme sie Deine Schwester willkommen hieße – so, als hieße sie Dich willkommen.
    Ja, Du mußt ihr sagen, daß wir hier wohnen, und dränge sie, so bald wie möglich mit uns Kontakt aufzunehmen. Gratuliere ihr bitte recht herzlich von uns zu ihrem schönen Erfolg.
    Elsa bittet mich, Dir ihre besten Grüße auszurichten, und Heinrich brennt darauf, seinem Onkel Max »Hello« sagen zu können. Wir vergessen Dich nicht, Maxel.
    Von ganzem Herzen der Deine
Martin

GALERIE SCHULSE-EISENSTEIN
SAN FRANCISCO, KALIFORNIEN, U.S.A.
    21. Januar 1933
    Herrn Martin Schulse
Schloß Rantzenburg
München, Deutschland
    Mein lieber Martin,
    ich war froh, daß ich Griselle Deine Anschrift geben konnte. Sie wird sie alsbald bekommen – wenn sie sie nicht schon in Händen hält. Was für ein fröhliches Fest wird das, wenn sie Euch alle wiedersieht! Ich werde Euch in Gedanken begleiten, mit meinem ganzen Herzen, so, als wäre ich wirklich bei Euch.
    Du erzählst von der Armut, die um Euch herum herrscht. Die Bedingungen waren diesen Winter auch hier nicht gut, aber das ist natürlich nichts, verglichen mit der Not in Deutschland.
    Du und ich, wir haben Glück, daß die Galerie so beständig läuft. Sicherlich geben die Kunden im Augenblick weniger Geld für Kunst aus, aber selbst wenn wir nur halb soviel verkaufen wie früher, können wir immer noch sehr gut davon leben – nicht gerade verschwenderisch, aber sehr komfortabel. Die Ölgemälde, die Du mir geschickt hast, sind von ausgezeichneter Qualität und die Preise erstaunlich. Ich werde sie sicher umgehend mit einem erschreckenden Profit an die Kunden bringen können. Die gräßliche Madonna ist verkauft! Ja, an die alte Mrs. Fleshman. Mir stockte der Atem, als sie mit kunstverständigem Scharfblick den Wert des Bildes erkannte. Wie habe ich gezögert, einen Preis zu nennen! Sie hatte mich in Verdacht, einen anderen Kunden in der Hinterhand zu haben, also nannte ich eine unverschämte Summe. Sie stürzte sich darauf und grinste gerissen, als sie ihren Scheck ausstellte. Wie sehr ich frohlockt habe, als sie diese Scheußlichkeit hier raustrug, kannst nur Du ermessen.
    Ach, Martin, ich schäme mich oft für die Freude, die ich empfinde, wenn ich solch bedeutungslose, kleine Triumphe erlebe. Du in Deutschland, mit Deinem Landsitz und Deinem Wohlstand, den Du Elsas Verwandten vorführst, und ich in Amerika, beglückt frohlockend, weil ich eine leichtgläubige alte Dame zum Kauf einer Monstrosität überredet habe. Was für schöne Höhepunkte für zwei vierzigjährige Männer! Ist das der Zweck unseres Lebens – Geld zu verdienen und den Gewinn dann öffentlich auszustellen? Ich geißle mich ständig, mache aber weiter
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