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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway
Autoren: Leonardo Padura
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war tatsächlich ausgezeichnet. Er war ein Geschenk von Adriana Ivancich, der kleinen venezianischen Gräfin, in die er sich vor einigen Jahren verliebt und die er zur Renata in Über den Fluss und in die Wälder gemacht hatte. Der junge Wein erinnerte ihn an den Geschmack ihrer Lippen, was ihm wohl tat und sein schlechtes Gewissen wegen des übermäßigen Alkoholgenusses besänftigte.
    Wenn Sie noch etwas leben wollen: kein Alkohol, keine Abenteuer! Dr. Ferrer und die anderen Ärzte hatten ihn gewarnt. Der Blutdruck war zu niedrig, der Cholesterinspiegel zu hoch, die beginnende Diabetes konnte sich verschlimmern, Leber und Nieren hatten sich nicht von den Flugzeugabstürzen in Afrika erholt, und sein Seh- und Hörvermögen würden noch schwächer werden, falls er sich nicht schonte. Ein Sack voller Krankheiten und Verbote, mehr war bald nicht von ihm übrig. Und die Stierkämpfe? Ja, aber ohne den Alkohol. Er musste unbedingt zurück in den Ring, zurück in die Stierkampfarenen, musste wieder diese Atmosphäre schnuppern, um die stockende Überarbeitung von Tod am Nachmittag abschließenzu können.
    Er leerte das Glas und goss sich ein zweites ein. Das leise Plätschern des Rotweins rief eine verschüttete Erinnerung in ihm wach. Es musste irgendetwas mit einem seiner Liebesabenteuer zu tun haben. Was war das noch, verdammt? Und er sah sich mit einer beklemmenden Wahrheit konfrontiert, einer Frage, die über ihm schwebte, an die er aber nicht zu denken wagte: Wenn er weder neue Abenteuer haben noch sich an seine alten erinnern konnte, worüber sollte er dann schreiben?
    Seine Biografen und Kritiker erzählten so gerne über seine Vorliebe für die Gefahr, für den Krieg, für Extremsituationen – für jede Form von Abenteuer. Die einen sahen in ihm einen zum Schriftsteller gewordenen Mann der Tat, die anderen einen schriftstellernden Hanswurst auf der Suche nach exotischen Schauplätzen und dem Kitzel der Gefahr. Alle jedoch hatten, durch Elogen wie durch Kritik, dazu beigetragen, seine Biografie zu mystifizieren, wobei sie sich allesamt einig waren, dass er sich diesen Mythos durch seine Aktionen auf dem halben Erdball selbst zurechtgebastelt hatte. Die Wahrheit aber war, wie stets, komplizierter und erschreckender. Ohne meine Biografie wäre ich kein Schriftsteller geworden, dachte er und betrachtete den Wein im Gegenlicht. Seine Fantasie war schon immer dürftig und dabei verfälschend gewesen, das wusste er. Er musste über Dinge schreiben, die er in seinem Leben selbst gesehen und erlebt hatte, nur so war es ihm möglich, so wahrhaftige Werke zu schaffen, wie er es von sich selbst verlangte. Ohne das Bohemeleben in Paris und die Stierkämpfe in Spanien hätte er Fiesta nicht geschrieben. Ohne die Verwundungen in Fossalta, das Hospital in Mailand und seine leidenschaftliche Liebe zu Agnes von Kurowsky hätte er sich niemals In einem anderen Land ausdenken können. Ohne die Safari von 1934 und den bitteren Geschmack der Angst angesichts des Todeskampfes eines verwundeten Büffels hätte er nicht Die grünen Hügel Afrikas schreiben können, auch nicht zwei seiner besten Erzählungen, Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber und Schnee auf dem Kilimandscharo. Ohne Key West, die Pilar, das ›Sloppy Joe’s‹ und den Alkoholschmuggel hätte Haben und Nichthaben nie das Licht der Welt erblickt. Ohne den Spanischen Bürgerkrieg und die Bombenangriffe und die gewissenlose Martha Gellhorn hätte er Die fünfte Kolonne und Wem die Stunde schlägt niegeschrieben. Ohne den Zweiten Weltkrieg und ohne Adriana Ivancich würde es Über den Fluss und in die Wälder nichtgeben. Ohne die vielen Tage, die er im Golf verbracht, ohne die riesigen Schwertfische, die er selbst gefangen, ohne die Geschichten von den anderen riesigen Schwertfischen, die er von den Fischern in Cojimar gehört hatte, wäre Der alte Mann und das Meer niemals entstanden. Ohne die »Gaunerfabrik«, seine Saufkumpane, die ihn auf der Jagd nach U-Booten der Nazis begleitet hatten, ohne die Finca Vigía und ohne das ›Floridita‹ mit seinen Gelagen und seinen Stammgästen hätte er Inseln im Strom nicht geschrieben. Und Paris – ein Fest fürs Leben? Und Tod am Nachmittag? Und die Nick Adams Stories? Undjetzt Der Garten Eden, der Roman, der nicht so recht in Fluss kommen wollte, wie es hätte sein müssen, der sich in die Länge zog und sich verlor? … Er musste sich ins Leben stürzen, um sich in die Literatur stürzen zu können, er musste
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