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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway
Autoren: Leonardo Padura
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gewesen war. Seine alten und besten Freunde bildeten den Hofstaat des Schriftstellerlehrlings auf jener Pilgerfahrt, und noch heute genoss er diese Erinnerungen: Tamaras Erstaunen angesichts der Schönheit des Ortes, Andrés’ Freude über die Aussicht auf Havanna, die man vom Turm aus hatte, den Ärger vom Hasenzahn wegen der vielen Jagdtrophäen an den Wänden und das ungläubige Staunen des roten Candito über das Rätsel, wie ein einziger Mensch »so viel Haus« bewohnen könne. Mario erinnerte sich, amüsiert und traurig zugleich, auch an das keineswegs rätselhafte Verschwinden von Carlos und Dulcita, die eine halbe Stunde nach ihrer Entfernung von der Truppe selig lächelnd aus einem Gebüsch hervorgekrochen kamen, nachdem sie das getan hatten, was sie als die wichtigste Mission ihres Lebens ansahen: zu vögeln, wann und wo immer sich eine Gelegenheit dafür bot. Es war ein wunderschöner Morgen. Mario, der großspurige und umfassend informierte Bewunderer des Schriftstellers, versammelte seine Freunde um den Swimmingpool, und während die beiden Rumflaschen von Mund zu Mund wanderten, las er ihnen die vollständige Fassung von Großer doppelherziger Strom vor, seiner Lieblingserzählung von Hemingway.
    Auf dem vom dichten Blattwerk der Palmen, Ceibas, Kasuarinen und Mangobäume beschatteten Weg überfiel El Conde der Schmerz darüber, wie unerbittlich der Gang des Lebens all das hatte abtöten können. Die bittersüßen Erinnerungen konnte er aber erst verscheuchen, als er das weiße Gebäude und den Turm erblickte, den Mary Hemingway hatte erbauen lassen, damit ihr Mann dort schreiben konnte, und der dann den siebenundfünfzig auf der Finca lebenden Katzen als Höhle gedient hatte. Links, hinter dem niedriger gelegenen Teil mit dem Swimmingpool, wurden die Umrisse der Pilar sichtbar, die mehr als dreißig Jahre zuvor für immer vor Anker gegangen und zu einem Museumsstück geworden war. Die vielen Türen und Fenster waren allesamt verschlossen, keine Touristen und Neugierigen oder angehenden Schriftsteller wollten einen Blick in das zum Denkmal erstarrte Privatissimum ihres Vorbildes werfen, das Haus kam El Conde wie ein weißes Phantom aus dem Totenreich vor. Er sah nur kurz hin und ging über den schmalen Asphaltweg weiter zu dem höher gelegenen Teil des Anwesens. Stimmen drangen zu ihm herüber, begleitet von den arhythmischen Schlägen von Schaufel und Spitzhacke.
    Als Erstes sah er die Wurzeln des gefällten Mangobaums. Widerborstig und aggressiv, wie die Haare der Medusa, schrien sie ihr Leid in den unerreichbar fernen Himmel, aus dem der Tod sie getroffen hatte, wodurch ein weiterer Tod entdeckt worden war. Direkt dahinter sah er in einem bereits mehrere Meter breiten und langen Graben die Köpfe dreier Männer, die eine Hacke und zwei Schaufeln schwangen. Erde flog auf einen kleinen dunklen Hügel, der einen Brunnen zu verschütten drohte, aus dem seit tausend Jahren kein Wasser mehr gesprudelt war. El Conde näherte sich auf leisen Sohlen und erkannte zwei seiner ehemaligen Kollegen, Crespo und El Greco, die, in ein lebhaftes Gespräch vertieft, mit den Schaufeln hantierten, während ein ihm unbekannter Dritter die Spitzhacke ins Erdreich schlug.
    »Als ich euch das letzte Mal gesehen habe, habt ihr auch in so einem Loch gestanden«, sagte El Conde.
    Die beiden Männer sahen zu ihm auf, überrascht, seine Stimme zu hören.
    »Ich glaubs nicht!«, rief El Greco und ließ seine Schaufel fallen. »Wen haben wir denn da?« Der Mann mit der Hacke hatte ebenfalls seine Arbeit unterbrochen und musterte den Neuankömmling, dem sich seine beiden Kollegen zugewandt hatten.
    »Erzähl mir nicht, dass du wieder bei uns bist«, fragte Crespo verwundert und unternahm einen Versuch, aus der Grube zu klettern. Für sie waren die Jahre genauso schnell vergangen wie für Mario Conde. Sie waren jetzt in den Vierzigern, trugen Bauch und hätten lieber am Strand in der Sonne gelegen.
    »Ich bin doch nicht verrückt«, erwiderte El Conde. Er reichte den beiden nacheinander die Hand, um ihnen den Aufstieg zu erleichtern.
    »Wie viele Jahre ist das jetzt her, Conde?« El Greco sah Mario an, als gehöre der auch zu den Museumsstücken.
    »Einige. Zähl sie lieber nicht.«
    »Schön, dich zu sehen, Mann! Manolo hat uns gesagt …«
    »Und wer ist das da in dem Loch?«, fragte El Conde.
    »Cabo Fleites.«
    »So alt und immer noch Cabo?«
    »Er hinkt und ist kurzsichtig, stell dir das mal vor … Und er schreibt Gedichte.
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