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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway
Autoren: Leonardo Padura
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Küche.
    »Nein, heute nicht. Ich bleib beim Wein.«
    »Trink nicht zu viel, Ernesto«, rief der andere von nebenan.
    »Ich trink schon nicht zu viel. Und verschon mich mit deinen Ratschlägen, du bekehrter Säufer!«
    Calixto kam in den Salon zurück, Zigarette im Mund, und sagte grinsend zu seinem Chef: »Damals, in der guten alten Zeit in Key West, da hab ich dich immer unter den Tisch gesoffen, erinnerst du dich noch?«
    »Daran erinnert sich kein Mensch mehr, und ich am allerwenigsten.«
    »Also, ich verzieh mich dann mal mit meinem Kaffee«, verkündete der Schwarze. »Soll ich heute die Runde machen?«
    »Nein, besser ich.«
    »Seh ich dich später noch?«
    »Ja, später.«
    Wäre Miss Mary zu Hause gewesen, hätte er nach dem Essen und der Unterhaltung in irgendeinem Buch gelesen – vielleicht in der argentinischen Ausgabe von Die Leber und ihre Krankheiten von einem gewissen H. P. Himsworth, der seine Leberleiden und die verheerenden Folgen so schonungslos beschrieb – und dabei das erlaubte Glas Wein getrunken, normalerweise von dem Tischwein, der übrig geblieben war. Miss Mary hätte mit Ferrer und Valerie Canasta gespielt. Und aus seiner stillen Ecke heraus hätte er sich am Anblick der jungen Frau geweidet. Nun hatte Miss Mary sie unter dem Vorwand, sie brauche ihre Hilfe bei Behördengängen und Bankgesprächen in New York, wohlweislich mit auf die Reise genommen. Ein alter Löwe ist schließlich immer noch ein Löwe. Den Wein austrinken, ein paar Seiten lesen – er wäre nicht mehr lange aufgeblieben. Bald schon hätte er Ferrer, Valerie und Miss Mary eine gute Nacht gewünscht. Jeder wusste es: Um elf ging er zu Bett, egal, ob er noch seine Runde um die Finca machte oder nicht. All diese Routine, die ewig gleichen Gewohnheiten, der fest gefügte Tagesablauf, das war für ihn das sicherste Zeichen fürs Älterwerden. Doch er tröstete sich mit dem Gefühl seiner Verantwortung für die Literatur darüber hinweg, ein ganz neues Gefühl. Seit den fernen Pariser Jahren hatte er es nicht mehr gehabt, seit den Zeiten, als er nicht wusste, wer seine Bücher verlegen, und noch weniger, wer sie lesen würde, als er um jedes Wort rang, als ginge es um sein Leben.
    »Hier, der Wein, Papa.«
    »Danke, mein Sohn.«
    Raúl stellte die entkorkte Flasche und das geschliffene, saubere Glas auf die kleine Hausbar neben dem Sessel. Obwohl Raúl seit 1941, als der Schriftsteller sich mit seiner dritten Frau hier niedergelassen hatte, in seinen Diensten stand, hätte er sich nie eine Bemerkung über den Weinkonsum seines Arbeitgebers erlaubt. Und genauso wenig hätte er sich bei Miss Mary verplappert, darauf konnte Hemingway sich verlassen. Raúl war ihm ebenso treu ergeben wie Calixto, doch seine wortlose, zurückhaltende Ergebenheit hatte etwas Hündisches. Von allen Angestellten war er ihm der Liebste, und er war der Einzige, der ihn auf eine Weise »Papa« nannte, als wäre er wirklich sein Vater.
    »Wollen Sie wirklich wieder alleine bleiben, Papa?«
    »Ja, Raúl, mach dir um mich keine Sorgen. Haben die Katzen ihr Fressen bekommen?«
    »Ja. Dolores hat ihnen Fisch gegeben, und ich hab die Hunde gefüttert. Black Dog wollte nicht fressen, er ist irgendwie unruhig. Eben war er hinten im Garten und hat die ganze Zeit gebellt. Ich bin bis zum Swimmingpool gegangen, hab aber niemand gesehen.«
    »Ich werd ihm was geben. Bei mir frisst er immer.«
    »Das stimmt, Papa.«
    Raúl Villaroy nahm die Flasche und goss das Glas halb voll. Papa hatte ihm beigebracht, dass man die Flasche ein paar Minuten geöffnet stehen lassen muss, bevor man einschenkt, damit der Wein atmen kann und sich setzt.
    »Wer macht heute die Runde?«
    »Ich. Habs Calixto schon gesagt.«
    »Möchten Sie wirklich, dass ich nach Hause gehe und Sie alleine lasse?«
    »Ja, Raúl, es ist alles in Ordnung. Wenn ich was brauche, rufe ich dich.«
    »Das müssen Sie mir aber versprechen! Ich werd später trotzdem noch mal die Runde machen.«
    »Du bist schon genauso schlimm wie Miss Mary … Geh ruhig, noch bin ich kein hilfloser Greis.«
    »Das weiß ich doch, Papa. Also, schlafen Sie gut. Morgen bin ich um sechs hier, fürs Frühstück.«
    »Und Dolores? Warum macht sie nicht das Frühstück, wie sonst auch?«
    »Wenn Miss Mary nicht hier ist, ist das meine Aufgabe.«
    »Na schön. Gute Nacht, Raúl.«
    »Gute Nacht, Papa. Ist der Wein gut?«
    »Ausgezeichnet.«
    »Das freut mich. Ich geh jetzt, Papa. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, mein Sohn.«
    Der Chianti
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