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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway
Autoren: Leonardo Padura
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Hosentasche. Theatralisch wie ein billiger Zauberer zog er das spitzenbesetzte schwarze Stückchen Stoff hervor, jenes, das vor langer Zeit die intimsten Stellen einer der schönsten Frauen der Welt liebkost hatte.
    So als wolle er das Spitzenhöschen auf eine Leine hängen, faltete er es auseinander, damit seine Freunde Größe, Form und Transparenz begutachten und sich in ihren fiebernden Hirnen das Fleisch vorstellen konnten, das dieses Stück Unterwäsche einst ausgefüllt hatte.
    »Du hast das mitgehen lassen!« Die Bewunderung des Dünnen kannte keine Grenzen, genauso wenig wie seine erotischen Fantasien. Er streckte die Hand nach dem Slip aus, um die Wärme des Stoffes zu spüren und sich das schwarze Objekt der Begierde aus der Nähe anzusehen.
    »Du bist wirklich zu heiß, Conde«, sagte der Hasenzahn grinsend.
    »Irgendetwas musste bei der Geschichte ja auch für mich abfallen, oder? Gib her, Dünner.« Carlos gab ihm das Spitzenhöschen zurück. Mario dehnte den Stoff und stülpte ihn sich wie eine Mütze über den Kopf. »Das ist der schönste Lorbeerkranz, den ein Schriftsteller jemals bekommen hat. Meine Jakobinermütze!«
    »Wenn du mit dem Scheiß durch bist, kannst du mir das Teil ja auch mal rüberreichen«, sagte der Hasenzahn, doch Mario schien nicht die Absicht zu haben, mit dem Scheiß aufzuhören und sich von seiner Kopfbedeckung zu trennen.
    »Gib mal die Flasche«, sagte er.
    »Du bist ja völlig besoffen«, stellte der Hasenzahn fest.
    Ein Fischerboot näherte sich der Küste.
    »Ob die was gefangen haben?«, fragte sich der Dünne.
    »Bestimmt«, sagte Mario. »Die sind doch keine Versager wie wir …«
    Schweigend verfolgten sie das Manöver des Bootes. Der Motor hustete und spuckte abwechselnd, so als würde er jeden Moment an seiner eigenen Kotze ersticken. Gemächlich schipperte das Boot vor ihren Augen vorbei auf die Anlegestelle zu.
    »Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal in Cojimar war«, sagte Carlos nachdenklich.
    »Das ist und bleibt ein seltsamer Ort«, bemerkte Mario. »Als wär die Zeit hier stehen geblieben.«
    »Die Scheiße ist nur, dass die Zeit nicht stehen bleibt, Conde. Sie geht immer weiter«, erwiderte der Hasenzahn mit seiner unschlagbaren Einsicht in die historische Dialektik der Welt. »Als wir das letzte Mal alle zusammen hier waren, war Andrés noch mit dabei, wisst ihr noch?«
    »Gib endlich den Rum rüber«, bat Mario, »ich trinke auf unseren Freund Andrés.« Er nahm einen gigantischen Schluck aus der Flasche.
    »Sieben Jahre ist das jetzt her, dass er in den Norden gegangen ist.« Der Dünne nahm die Flasche, die Mario ihm reichte. »Sieben Jahre sind verdammt viele Jahre! Ich weiß nicht, warum er nicht mal kommen will.«
    »Ich schon«, widersprach der Hasenzahn. »Um auf der anderen Seite leben zu können«, er zeigte aufs Meer, »muss man das Leben vergessen, das man auf dieser Seite geführt hat.«
    »Meinst du?«, fragte Carlos. »Aber wie will er ohne das leben, was er hier erlebt hat? Nein, Hase, nein … Schau mal, eben hab ich mir vorgestellt, dass Andrés vielleicht auf der anderen Seite sitzt und aufs Meer blickt, genauso wie wir, und dass er an uns denkt. Dafür sind Freunde doch da, dass man sich an sie erinnert, oder?«
    »Das wär schön«, sagte Mario. »Die Scheiße ist nur, dass das wirklich genauso sein könnte …«
    »Ich muss jeden Tag an den Blödmann denken«, sagte Carlos.
    »Ich nur, wenn ich besoffen bin, wie jetzt«, erwiderte der Hasenzahn. »So hält mans noch am besten aus, besoffen oder schlafend …«
    Mario beugte sich vor und suchte eine der beiden Flaschen, die sie bereits geleert hatten. »Da liegt sie ja«, sagte er zum Dünnen, »gib sie mal rüber.«
    »Was willst du damit?« Carlos fürchtete sich vor den alkoholisierten Einfällen seines Freundes.
    Mario sah aufs Meer. »Ich glaub auch, dass Andrés auf der anderen Seite sitzt und zu uns rüberguckt. Werd ihm einen Brief schreiben. Gib endlich die Scheißflasche rüber!«
    Die Flasche zwischen den Beinen, Zigarette im Mund, suchte Mario in seinen Taschen nach Papier und Kugelschreiber. Das Einzige, was sich fand, war ein Bleistift und die Schachtel, in der noch ein paar Zigaretten tanzten. Er steckte die Zigaretten lose in die Tasche und riss mit zitternden Händen die Schachtel vorsichtig auseinander, bis er ein rechteckiges Stück Papier hatte. Auf die Mauer gestützt, begann er im Dämmerlicht zu schreiben und las das, was er schrieb, laut vor: »Für
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