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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway
Autoren: Leonardo Padura
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passiert. Er sagt vieles gar nicht, man muss es sich vorstellen.«
    »Ja, das konnte er. Wie bei einem Eisberg, erinnerst du dich? Sieben Achtel befinden sich unter der Wasseroberfläche, und nur ein Achtel ist zu sehen, nur die Spitze. Wie jetzt in dieser Geschichte, nicht wahr? … Als ich entdeckt habe, wie gut er das konnte, hab ich angefangen, ihn zu imitieren.«
    »Und was schreibst du im Moment?«
    El Conde zog an seiner Zigarette, bis er merkte, dass er sich die Finger verbrannte. Er sah die Kippe eine Weile an und warf sie dann durchs offene Fenster. »Die Geschichte eines Polizisten, der sich mit einem Schwulen anfreundet.«
    Manolo setzte sich wieder an den Tisch. Er grinste.
    »Sag jetzt lieber nichts, du verdammter Klugscheißer!«, sagte El Conde.
    »Ist ja schon gut, Conde«, lenkte Manolo ein. »Jeder schreibt über das, worüber er schreiben kann, und nicht, worüber er schreiben will.«
    »Und, schließt du den Fall jetzt ab?«
    »Das weiß ich noch nicht. Es gibt vieles, was wir noch nicht wissen und nie erfahren werden, glaub ich. Oder? Wenn ich den Fall abschließe, dann ist der Fall zwar abgeschlossen, aber er bleibt ein Fall, den es gegeben hat. Und das wird die Scheiße zum Kochen bringen. Egal, wer der Mörder ist, Calixto oder Hemingway, es wird mächtig Staub aufwirbeln. Obwohl ich ja nach wir vor nicht weiß, wen das überhaupt noch interessiert, vierzig Jahre danach.«
    »Denkst du das, was ich auch denke?«
    »Ich denke, dass wir weder wissen, wer den Mann umgebracht hat, noch, warum. Anklagen können wir auch niemanden, und niemand hat sich je für die Leiche interessiert … Wäre es nicht besser, den Sack mit den Knochen einfach zu vergessen?«
    »Und dein Chef?«
    »Vielleicht kann ich ihn ja überzeugen.«
    »Wenn Mayor Rangel noch dein Chef wär, dann ginge das. Der Alte war ein harter Hund, aber er hatte so was wie ein Herz. Ich hätte ihn rumgekriegt.«
    »Also, was meinst du?«
    »Warte mal ’n Moment.« Mario ging in sein Schlafzimmer und kam mit der Hemingway-Biografie zurück, die er gerade las. »Sieh dir das Foto an«, sagte er und gab Manolo das Buch. Auf dem Foto war Hemingway im Profil zu sehen, vor einem Schleier aus Bäumen. Haare und Bart waren völlig weiß, und das karierte Baumwollhemd sah aus wie von einem anderen, korpulenteren Hemingway geliehen. Er war schmal geworden, seine Schultern waren eingefallen und nicht mehr so breit wie früher. Nachdenklich schaute er auf etwas, das auf dem Foto nicht zu sehen war. Der Betrachter hatte den unbehaglichen Eindruck, hier sei nichts gestellt. Der Schriftsteller sah aus wie ein Greis und erinnerte kaum noch an den Mann von einst, der die Gewalt geliebt und ausgeübt hatte. Der untere Teil des Fotos ließ vermuten, dass es in Ketchum gemacht worden war, vor dem allerletzten Aufenthalt in der Klinik. Eine der letzten Aufnahmen.
    »Was er wohl gesehen hat?«, fragte sich Manolo.
    »Etwas, das sich auf der anderen Seite des Flusses befand, zwischen den Bäumen«, antwortete El Conde. »Er hat sich selbst gesehen, ohne Publikum, ohne Maske, ohne Glamour. Er hat einen vom Leben besiegten Mann gesehen. Einen Monat später hat er sich erschossen.«
    »Ja, er war am Ende.«
    »Nein, im Gegenteil!«, widersprach Mario. »Er hatte sich von der Person befreit, die er selbst erfunden hatte. Das hier ist der echte Hemingway, Manolo. Derselbe, der Großer doppelherziger Strom geschrieben hat.«
    »Soll ich dir sagen, was ich tun werde?«
    »Nein, sags lieber nicht«, wehrte El Conde heftig, fast leidenschaftlich ab, wobei er sogar die Hände zu Hilfe nahm. »Das ist der verborgene Teil des Eisbergs. Den möchte ich mir lieber nur vorstellen.«
     
    Das Meer bildete eine unergründliche, feindselige Fläche, und nur die Wellen, die sich an der Felsenküste brachen, belebten hin und wieder seine schwarze Gleichförmigkeit. Weit draußen markierten schwache Lichter die Positionen zweier Fischerboote, deren Besatzung darauf aus war, etwas Wertvolles, heiß Ersehntes, noch Verborgenes aus dem Ozean zu holen.
    Der ewige erschütternde Kampf der Fischer, dachte El Conde.
    Mario, der dünne Carlos und der Hasenzahn saßen auf der Kaimauer und reduzierten ihren Rumvorrat. Nachdem sie Josefinas Hühnchen mit Knoblauch, die Pfanne Malanga in Orangensoße, die Schüssel Reis und den Berg Yucca-Pudding mit Honigsirup verschlungen hatten, hatte El Conde darauf bestanden, dass seine Freunde mit ihm nach Cojimar fahren müssten, wenn sie die
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