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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway
Autoren: Leonardo Padura
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Andrés, irgendwo im Norden. Du alter Blödmann, wir sitzen hier und denken an Dich. Wir haben dich immer noch gern, und ich glaube, wir werden Dich immer gern haben.« Er hielt einen Moment inne, den Bleistift auf den Papierfetzen gedrückt. »Der Hasenzahn sagt, die Zeit bleibt nicht stehen, sie geht immer weiter. Ich glaube, das ist ein Lüge. Wenn das aber stimmt, dann wirst Du da drüben uns hoffentlich trotzdem auch noch gern haben. Es gibt Dinge, die dürfen nicht verloren gehen. Denn wenn sie verloren gehen, dann sind wir wirklich endgültig im Arsch. Wir haben fast alles verloren, aber das, was wir lieben, muss gerettet werden. Hier ist es Nacht, und wir sind granatenvoll. Wir trinken nämlich Rum in Cojimar: der Dünne, der nicht mehr dünn ist, der Hasenzahn, der kein Historiker mehr ist, und ich, der kein Polizist mehr ist. Und Du, was bist Du nicht mehr? Und was bist Du? Einen herzlichen Gruß für Dich, und für Hemingway auch einen. Sag ihm das, wenn Du ihn da drüben mal zufällig triffst. Wir sind jetzt nämlich Mitglieder im Club der Hemingwayaner Kubas. Wenn Du diesen Brief erhältst, schick die Flasche wieder zurück, aber voll.«
    Mario Conde unterschrieb und reichte das Papier an Carlos und der an den Hasenzahn weiter. Auch sie setzten ihren Namen darunter. Sorgfältig faltete Mario das Papier, rollte es zusammen und schob es in die Rumflasche. Dann nahm er Ava Gardners Spitzenhöschen vom Kopf und stopfte es ebenfalls in den Flaschenhals.
    »Jetzt dreht er völlig durch«, stellte der Hasenzahn fest.
    »Dazu sind Freunde doch da, oder?«, verteidigte sich Mario. Der schwarze Stoff rutschte in den Bauch der Flasche.
    »Der Meinung bin ich auch«, kam der dünne Carlos ihm zu Hilfe.
    »Das kommt bestimmt an seinem Geburtstag an«, faselte der Hasenzahn, nachdem er einen mächtigen Schluck getrunken hatte.
    El Conde verkorkte die Flasche und schlug mit der flachen Hand auf den Korken, um die Post zu versiegeln. »Die kommt an«, versicherte er. »Ich bin mir ganz sicher, dass die Botschaft ihr Ziel erreicht.« Und er griff nach der anderen, noch halb vollen Flasche, um im Rum Vergessen zu finden.
    Mit einem kräftigen Rülpser stellte er die Literflasche zur Seite, nahm die Flaschenpost und versuchte sich auf die Mauer zu stellen, was ihm schließlich auch gelang. Er schaute auf das unendliche Meer, das im Stande war, die Distanz zwischen den Menschen und ihren schönsten Erinnerungen zu überbrücken, und betrachtete die feindselige Felsenküste, an der alles Leid und sämtliche Illusionen eines Menschen zerschellen konnten. Mario trank noch einen Schluck – zur Erinnerung an das Vergessen – und schrie aus voller Lunge:
    »Adiós, Cheminguey!«
    Dann holte er weit aus und warf die Flasche ins Wasser. Angefüllt mit den nostalgischen Wünschen der drei Schiffbrüchigen auf dem Festland, schwamm die Flasche, funkelnd wie ein unverwüstlicher Diamant, eine Weile in Küstennähe auf der Wasseroberfläche, bis eine Welle sie überspülte und sie forttrug in dunkle Gewässer, wo man nur mit den Augen der Erinnerung und der Sehnsucht etwas sehen kann.
     
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