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Adiós Hemingway

Adiós Hemingway

Titel: Adiós Hemingway
Autoren: Leonardo Padura
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er den anderen Fuß nachzog.
    Er streckte die Hand nach dem Schalter aus und knipste das Licht im Salon an. Vor seinen Augen erstand das gespenstisch erstarrte Bild eines Hauses, in dem Menschen gelebt, geschlafen, gegessen, geliebt und gelitten hatten. Doch nicht nur weil dieser Ort zu einem Museum geworden war, herrschte hier eine zutiefst irreale Atmosphäre. Das Haus der Finca Vigía war immer schon eine Art Tempel gewesen, Teil einer Inszenierung, die mehr dem illustren Schriftsteller als dem Menschen Hemingway gegolten hatte. Zum Beispiel fand El Conde es ziemlich beschämend, dass hier die Tausende von Büchern und Dutzende von Gemälden und Zeichnungen fast untergingen im Wettstreit mit all den Gewehren, Kugeln, Lanzen und Messern sowie den starren, ausgestopften, anklagenden Köpfen der Jagdtrophäen, Opfer der Heldentaten des Schriftstellers, seiner bloßen Lust am Töten, des künstlichen Kitzels der Gefahr.
    Die meisten Bilder waren aus dem Haus verschwunden. Mary Welsh hatte sie mitgenommen, als sie Kuba verließ. Es fehlten auch einige Dokumente und Briefe, es hieß, die Witwe habe sie bei ihrem letzten Besuch auf der Finca kurz nach dem Tod des Schriftstellers verbrannt. Und es fehlten die Menschen, die das Haus hätten zum Leben erwecken können: der Hausherr selbst und seine Frau, die Dienerschaft, die Gäste, die regelmäßigen und diejenigen, die bei besonderen Anlässen zu Besuch kamen. Dazu der eine oder andere Journalist, dem es gelungen war, die Barriere der uninvited visitors zudurchbrechen und ein paar Minuten für ein Gespräch mit dem Gott der nordamerikanischen Literatur gewährt zu bekommen. Vor allem aber fehlten Licht und Luft. El Conde ging durchs Haus und öffnete nacheinander alle Fenster, angefangen im Salon bis hin zu Küche und Badezimmer. Das helle Licht und die warme Morgenluft taten dem Haus gut, der Duft von Blumen und Erde durchdrang die Zimmer. Erst jetzt begann Mario sich zu fragen, was er hier eigentlich suchte. Bestimmt nichts, was über die Identität der draußen gefundenen Leiche oder die des Mörders hätte Aufschluss geben können, das war ihm klar. Nein, er suchte etwas Entfernteres, weniger Fassbares. Etwas, dem er früher schon mal auf der Spur gewesen war und das zu suchen er vor einigen Jahren aufgegeben hatte: die Wahrheit – oder auch die wahre Lüge – eines Mannes namens Ernest Miller Hemingway.
    Gleich zu Beginn der schwierigen Ermittlung beging El Conde ein museografisches Sakrileg: Er zog die Schuhe aus und schlüpfte in die alten Mokassins des Schriftstellers, die ihm um einige Nummern zu groß waren. Schlurfenden Schrittes ging er zurück in den Salon, zündete sich eine Zigarette an und machte es sich in dem Lehnstuhl des Mannes bequem, der sich »Papa« hatte nennen lassen. Dass er diese Akte der Entweihung so genüsslich zelebrierte, überraschte ihn selbst am meisten. Sein Blick wanderte über die Gemälde mit den Stierkampfszenen. Ihm schoss durch den Kopf, wie seine leidenschaftliche Liebe zu dem Schriftsteller geendet hatte, als er Einzelheiten über das Ende der Freundschaft zwischen Hemingway und Dos Passos erfuhr. Aber im Grunde hatte seine Verehrung für Hemingway schon viel früher einen Dämpfer erhalten, als sich das literarische Idol nach und nach als ein selbstgefälliger, gewalttätiger Mensch erwies, der unfähig war, jenen, die ihm mit Liebe begegneten, Liebe zurückzugeben. Die Distanz zu Hemingway war gewachsen, als Mario klar wurde, dass der Schriftsteller auch nach zwanzig Jahren in Kuba keinen blassen Schimmer von der Insel hatte; als er der schmerzhaften Wahrheit ins Auge sehen musste, dass der geniale Künstler ein verachtenswerter Mensch war, der alle verriet, die ihm geholfen hatten, angefangen bei Sherwood Anderson bis hin zu dem »armen« Scott Fitzgerald. Doch das Fass kam zum Überlaufen, als er erfuhr, wie grausam und zynisch Hemingway mit seinem ehemaligen Freund und Kameraden John Dos Passos während des Spanischen Bürgerkriegs umgegangen war. Als Dos Passos darauf bestand, die Wahrheit über den Tod seines spanischen Freundes José Robles herauszufinden, sagte Hemingway ihm während einer öffentlichen Versammlung frech ins Gesicht, man habe Robles als Spion und Verräter an der republikanischen Sache erschossen. Der Gipfel der Heimtücke war, dass er Robles als Modell für den Verräter in Wem die Stunde schlägt benutzte. Das war das Ende der Freundschaft zwischen den beiden Schriftstellern und der Anfang des
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