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Ada liebt

Ada liebt

Titel: Ada liebt
Autoren: Nicole Balschun
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Vater. Für die Toten, sagte ich, vielleicht haben sie ja
Telefon. Mein Vater machte ein ratloses Gesicht und ich sagte, ich werde es
jetzt auf dem Friedhof finden, und er guckte noch ratloser.
    Meine Mutter hätte es verstanden,
denn sie sagte mir immer, du wirst es in deinen Büchern nicht finden, Ada. Du
musst hinaussehen, aus deinem Fenster, oder in den Garten gehen, in die Stadt
von mir aus. Aber hör auf, danach in Büchern zu suchen. Warum werde ich es dort
nicht finden, hatte ich sie gefragt, obwohl ich ihre Antwort schon kannte. Weil
Bücher tot sind, sie können dein Blut nicht zum Kochen bringen. Du findest dort
Antworten, aber die Fragen, Ada, die stellt doch das Leben. Ich sagte dazu
nichts, wir stritten in letzter Zeit oft über dieses Thema, meine Mutter
erklärte meine Bücher zunehmend zu meinen Feinden und mit jedem Satz, den ich
in ihrem Beisein las, zog ich in den Krieg.
    Lass sie, sagte mein Vater. In der
Ruhe meines Vaters lag jene Ausgeglichenheit, die meine Mutter als sein Phlegma
bezeichnete. War es nun Ruhe oder Phlegma, mein Vater war derjenige, der
aufgrund genau dieser Eigenschaft unsere Familie im Gleichgewicht hielt, denn
meine Mutter und ich haben kein Phlegma, auch kein klitzekleines.
    Aufbrausend seid ihr Stratford-Frauen,
sagte mein Vater manchmal, meistens dann, wenn es Streit gab zwischen meiner
Mutter und mir. Streit gab es selten, und er nannte uns dann seine
Stratford-Frauen, obwohl wir nicht so hießen. Mein Vater fühlte sich vornehm
und allem überlegen, wenn er uns zu den Stratfords machte. Wir lachten darüber
und merkten oft nicht, wie sehr ihn das kränkte, denn vielleicht wäre er
wirklich gern manchmal ein Stratford gewesen. Ich genoss die Art, wie er es
sagte. Er dehnte das O und ließ die Konsonanten tanzen.
    Hatte nun der eine ein Phlegma und der
andere kochendes Blut, so funktionierte es vermutlich gerade dadurch, dass sich
mein Vater am Blut meiner Mutter wärmen konnte und sie sich an ihm niemals
verbrannte.
    Sie wollte, dass ich rausging,
Jungsein nannte sie es und ihr Blick wurde sehnsüchtig. Das Phlegma meines
Vaters half mir in diesen Situationen. Lass sie, sagte er, sie hat schon als
Kind anders gespielt.
    Ihr zuliebe ging ich hinaus, spazierte
durch die Siedlung oder kaufte mir am Kiosk eine Zeitung und setzte mich in den
Park, wo ich den Vögeln lauschte und den Liebespaaren zusah. Erst am Abend kam ich
zurück, dann rannte ich dreimal um unser Haus, wonach mein Gesicht hochrot und
verschwitzt war. Hast du etwas erlebt, fragte mich meine Mutter an der Tür und
ich sagte, ja, und sie nickte glücklich.
    Meine Mutter deckte den Abendbrottisch
immer reichlich. Es gab schönes Geschirr und sie stellte jeden Abend einen
Strauß frischer Blumen in die Mitte des Tisches. Aus unserem Garten, sagte sie
und mein Vater sagte, schön, ohne aufzublicken, und ich nickte ihr zu und
sagte, die sind so strahlend, und sie lächelte und reichte uns Brot und Käse
und Kaffee.
    Du siehst dem Leben nur zu, sagte sie
an einem dieser Abende mit Käse zu mir und musste die Blumen beiseite rücken,
damit sie mich ansehen konnte dabei. Diesmal lag nicht dieser Vorwurf in ihrer
Stimme und ihr Blick war auch nicht sehnsüchtig, sondern besorgt. Wie kommt
das, wollte sie wissen, dein Vater und ich, wir sind doch auch mittendrin. Wo
drin, fragte ich sie und mein Vater blickte auf.
    Sag du es ihr, sagte meine Mutter.
Was, fragte mein Vater und eine unangenehme Pause entstand. Hier, nimm Kaffee,
sagte er zu ihr. Sie reichte ihm ihre Tasse, die zitterte, er goss ein und sie
schwiegen beide.
    Ich fragte sie nicht noch einmal, wo
drin sie denn waren, in welcher Mitte, denn ich hatte gemerkt, dass sie es nicht
wussten und dass es ihnen nicht recht war, es nicht zu wissen. Nimm Käse, Ada,
sagte meine Mutter, du bist so blass.

5
    Bo hatte einen Sonntag
abgewartet, dann rief er an. Hier ist Bo, sagte er laut in den Hörer und mein
Herz schlug und ich sagte, aha, Bo vom Friedhof. Ich habe Roggen, Kartoffeln,
ein paar Schweine und achtzehn Kühe, sagte Bo und ich schwieg. Und Nachzucht,
sagte Bo. Was ist Nachzucht, sagte ich. Danach ging ich oft ohne meinen Vater
zum Grab von Tante Rosi und zündete die Kerze an.
    Du bist schön, wenn du trauern gehst,
sagte ich nach einer Beerdigung zu Bo. Es ist schade um die Würmer, sagte Bo,
besonders bei Regen. Bo fing Fische und die frisch aufgeworfene Erde legte
Kolonnen von Regenwürmern frei, die er sich gern an die Angel gehängt hätte.
Aber sie
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