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Ada liebt

Ada liebt

Titel: Ada liebt
Autoren: Nicole Balschun
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eigenen Geruch nach altem, abgegriffenem Papier, nach
Druckerschwärze und verbrauchter Luft. Sie atmeten die Geräusche ihrer Leser
ein, das heisere Räuspern, das Kratzen der Bleistifte auf chlorfreiem Papier
und das Rascheln der Seiten beim hastigen Umblättern durch trockene Hände.
    Hier wurden sie nicht zum Vorwurf
gemacht und stellten keine Gefahr dar. Hier durfte man ihren Sinn verstehen und
sie benutzen, um kluge Gedanken wie eine gute Marmelade einzumachen. Hier sagte
niemand, Mensch, Ada, und hier gab es keine Lehrerin, die sich abends auf das
neue Sofa meiner Eltern setzte, um ihnen umständlich zu sagen, dass sie mir das
Anpassen nicht beibringen konnte.
    Das sagte Frau Hammer an einem
Donnerstagabend um fünf Minuten nach halb neun zu meinem Vater, kurz nachdem
sie unsere Diele betreten, ihre regennasse Jacke abgelegt und ihren Schirm in
eine Ecke gestellt hatte. Mein Vater hatte ihre Jacke zum Trocknen auf einen
Bügel gehängt, ich bringe sie in den Heizungskeller, hatte er gesagt und seine
Stimme hatte gezittert. Zuvor war noch nie eine Lehrerin in unserem Haus
gewesen und mein Vater wusste nicht, was sie wollte. Er hatte es mich gefragt,
als er den Telefonhörer noch nicht wieder in die Gabel gehängt hatte.
    Das war deine Lehrerin am Telefon,
hatte er gesagt, sie will morgen Abend herkommen und mit Mama und mir über dich
sprechen. Er stand hinter dem gedeckten Abendbrottisch mit dem Telefonhörer in
der Hand, aus dem es tutete, und sah besorgt von mir zu meiner Mutter, zum
Schinken und wieder zurück zu mir.
    Was war denn in der Schule? Gab es
Ärger? Hast du dich schlecht benommen? Meine Mutter legte eine Scheibe
Brennnesselkäse auf ihr Schwarzbrot, biss jedoch nicht hinein. Sie hielt den
Atem an und sah zu mir.
    Es hat wieder mit den Wörtern und
Buchstaben zu tun, nicht wahr, Ada, fragte sie mich. Ja, sagte ich und dachte
daran, dass immer alles damit zu tun hatte, vor allem der Ärger. Ich wollte es
ihr erklären, aber in diesem Moment durfte ich das Thema nicht anschneiden,
über Buchstaben sprach meine Mutter nicht gern und jetzt war sie gereizt. Das
sah ich an ihrem Schwarzbrot, das sie noch in der erhobenen Hand hielt und
durch das sich ihr Zeigefinger gebohrt hatte vor Aufregung.
    Ich weiß nicht, was sie will,
antwortete ich, dann zuckte ich mit den Schultern und sagte, vielleicht will
sie mir mein Lineal vorbeibringen. Meine Mutter holte tief Luft, sagte aber
nichts. Weiß sie, dass das Echtholz ist, sagte mein Vater, er grinste
verschmitzt und meine Mutter versetzte ihm unter dem Tisch einen leichten
Tritt. Das ist nicht lustig, sagte sie streng.
    Sie trägt meist einen grünen Wollrock,
sagte ich. Vielleicht half ihnen das weiter. Meine Mutter war immer gut
gekleidet und vielleicht wusste Frau Hammer das und wollte eine Stilberatung,
das hatte ich im Fernsehen gesehen. Mein Vater stand noch immer mit dem großen
Telefonhörer in der Hand vor mir, und sein Gesichtsausdruck wechselte von
Lächeln zu nervöser Unruhe.
    Meine Eltern hatten ein altes Telefon,
eines mit großer Wählscheibe, schwerem Hörer und vielen Falschwahlen. Mein
Vater liebte antike Gegenstände, meine Mutter nicht. Das Telefon duldete sie,
es war ein Kompromiss, dafür war das alte Sofa ausgezogen und auch das
Grammophon.
    Jetzt führte meine Mutter Frau Hammer
zu dem neuen Sofa und sie setzten sich. Aus dem CD-Spieler lief leise Mozart,
meine Mutter sagte, das beruhigt. Ich weiß nicht, wen sie beruhigen wollte,
Frau Hammer, meinen Vater oder sich selbst.
    Als mein Vater aus dem Heizungskeller
kam, fragte er Frau Hammer, wie es ihr denn gehe. Meine Mutter warf hastig ein,
dass sie doch deshalb sicher nicht den weiten Weg aus der Stadt hergekommen
sei, um ihrem Mann zu sagen, wie es ihr gehe. Sicherlich sei es etwas sehr
Wichtiges, und sie bedankte sich schon jetzt für Frau Hammers Mühe, die Fahrt
auf sich genommen zu haben, den Abend zu opfern und ihre Freizeit, wenn sie als
Lehrerin denn so etwas überhaupt habe, denn bei so vielen Kindern gebe es ja
sicher immer etwas zu tun, auch noch zu Hause, gerade dort, und dann der Regen.
    Es muss wichtig sein, wiederholte sie
und bei diesen Worten sprang sie hektisch auf und blieb etwas verloren mitten im
Wohnzimmer stehen.
    Biete ihr etwas an, sagte mein Vater.
Vielleicht möchte sie nichts, antwortete meine Mutter gereizt. Sie sprachen
über Frau Hammer, als wäre sie gar nicht da, und dabei saß sie doch vor ihnen,
die Hände gefaltet auf ihrem grünen
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