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Ada liebt

Ada liebt

Titel: Ada liebt
Autoren: Nicole Balschun
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geringelten
H&M-Pullovern und den ausgestellten Kordhosen, den hohen Stimmen und den
blassen Gesichtern, das waren die Pädagogen, und die mit Hemd und V-Ausschnitt-Pullover
mit teuren Markenemblemen darauf und goldenen Brillen und wenigen Haaren, das
waren die Juristen oder die Betriebswirte, aber Männer waren es nicht.
    Es gab noch langhaarige Alternative,
die kein Fleisch aßen und keine Putzpläne mochten, die studierten im
fünfundzwanzigsten Semester Sozialwissenschaften, redeten gern und konnten
schlecht zuhören. Nein, sagte ich zu meinem Vater. Was ist mit Leo, fragte er.
Meine Mutter lachte und sagte, besetzt, und ich dachte an die Saugglocken für
verstopfte Klos, und Elisabet tat mir leid.
    Am Sonntagabend nach der
Beerdigung einer achtzigjährigen Witwe, die Bo nicht gekannt hatte, obwohl ihr
Grundstück an seine Schweinewiese grenzte, brachte Bo mich zum Bahnhof. Er
winkte dem Zug nach. Er war größer und kräftiger als die anderen Wartenden, und
er fiel auf in seinen dicken Stiefeln und der grünen Kordweste. Bo blieb in der
Scheibe von allen am längsten groß und er winkte so lange, bis er nur noch ein
schwarzer Punkt war, der zwischen Feldern und Bäumen verschwand.
    Im Zug las ich und dachte an Bo unter
dem Sarg und an Bo zwischen den Schweinen und an Bo mit einem verkohlten
Stockbrot in der Hand. Und ich dachte daran, wie sein Gesicht aussah, als er zu
mir sagte, es ist komisch mit uns, Ada. Und ich fragte mich, wie mein Gesicht
aussah, als ich ihn fragte, warum.

6
    Auch jetzt brachten mich die
Züge weg von Bo und in ein anderes Leben ohne Bo. Weil mir nichts Besseres
eingefallen war und weil mein Lehrer mir gesagt hatte, auch er könnte nichts
raten, zu mir passe irgendwie gar nichts, außer vielleicht
Fern-ab-von-Menschen-Kunde, was er lustig fand und ich nicht, und weil ich
gerne las und es eigentlich nichts gab, das dagegensprach, hatte ich mich an
einer Universität für Literaturwissenschaften eingeschrieben.
    Was willst du nachher damit machen,
fragte mein Vater und ich wusste es nicht und er sagte, überleg es dir noch
einmal. Es findet sich schon, sagte ich und er zog seine Zeitung vor sein
Gesicht und wir beide wussten, dass er meinen Entschluss nicht gut fand.
    Ist es eine Herzensentscheidung, Ada,
fragte mich meine Mutter, der es wichtig war, dass die wesentlichen
Entscheidungen aus dem Herzen kamen; das lag an dem kochenden Blut. Ich weiß
nicht, sagte ich, vielleicht. Wie fühlt es sich an, fragte sie und ich konnte
es nicht sagen. Es fühlt sich gar nicht an, das fühlt man nicht, da rauscht
kein Blut durch die Adern, sagte ich.
    Das Schöne am Studium war die viele
freie Zeit und die große Auswahl an Bibliotheken, in denen ich sie verbringen
konnte. Interessant waren nicht die Bücher für mein Studium, sondern die, die
am allerwenigsten damit zu tun hatten. Ich las mich im Laufe der Jahre durch
einen Wald an Literatur, von Jane Austen bis Émile Zola, und hin und wieder
spürte ich tatsächlich mein Blut kochen. In einer solchen Stimmung schrieb ich
an meine Mutter, ich schrieb ihr, dass mein Blut kochte und dass mein Gesicht
heiß wird vom Studieren. Miss Stratford, schrieb sie zurück und ich sah meinen
Vater, der über ihre Schulter blickte und lächelte.
    Nichts lenkte mich ab in der
Bibliothek, wenn die Dichter mit Wörtern spielten, als sei Krieg, und so flog
die Zeit an mir vorbei und hinterließ Spuren in meinem Herzen und auf meinem
Gesicht, das immer blasser wurde, weil ich nie rausging. Eine Haut wie Papier,
hatte meine Mutter dazu gesagt. Ich war gerade in die Schule gekommen und hatte
die Kunst der Buchstaben, Wörter zu formen, entdeckt. Das Wesen der Dinge
kehrte sich nach innen, verkleinerte sich, bis es aus der Welt verschwand und
durch die Buchstaben in Wörter hineinfloss. Dort hielt ich es in genau jenem
Moment fest, der es ihm erlaubte, sich kurz niederzulassen, und noch versagte,
sogleich in eine andere Worthülle weiterzuziehen, rastlos und ungeduldig wie
ich selbst. Meine Welt passte von nun an auf ein Blatt Papier und ich hörte
auf, sie woanders zu suchen. Geh spielen, Ada, drängte meine Mutter jetzt immer
häufiger, und nur widerwillig ließ ich mich von ihr in den Garten schieben oder
auf einen Spielplatz stellen, wo sich alles plötzlich nicht mehr bewegte. Auch
ich stand still und wusste nicht, was nun.
    Die Buchstaben, die mir in meiner
Kinderzeit so viel Ärger eingebracht hatten, waren in der Bibliothek an ihrem
Platz. Sie hatten ihren
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