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Ada liebt

Ada liebt

Titel: Ada liebt
Autoren: Nicole Balschun
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Das Ende
    Du bist seltsam, Ada, aber
ich liebe dich, sagte Bo jetzt. Ich hielt den Hörer in der Hand und mein Nacken
wurde heiß. Gehen wir auf den Friedhof am Sonntag, fragte ich und Bo schwieg.
Bo, sagte ich und er räusperte sich. Ich habe dir etwas sehr Wichtiges gesagt,
Ada, und du musst etwas dazu sagen, sagte Bo.
    Was soll ich sagen, fragte ich. Ich
hatte so viele Wörter, ich liebte die Sprache, ich hatte sie studiert, und nun
half sie mir nicht, gab mir keine passenden Worte, nur ein Krächzen, etwas
Vorsprachliches, nichts, das Bo verstand, nichts, das es mir selber erklärte.
Bo, sagte ich, was soll ich dir sagen. Liebst du mich, sagte Bo, ich muss es
wissen.
    Ich schwitzte und der Hörer rutschte
in meiner Hand. Ich dachte nach und ich wusste, dass dies der Moment war, und
ich sagte, Bo, das ist der Moment, oder? Bo sagte, ja, und mein Nacken brannte.
Ist es so schwer, fragte Bo. Nein, dachte ich, aber das ist keine Antwort,
keine, die du hören möchtest. Was ist eine Antwort? Bo, hämmerte es in meinem
Kopf. Was sollte ich ihm sagen?
    Ich dachte an sein verschwitztes Haar
und seine blitzenden Augen und an die Wollsocken auf dem Wohnzimmertisch und an
Bo, der aus dem Stall kam mit hochgekrempelten Ärmeln und Schmutz im Gesicht.
Ich sah ihn vor mir, wie er mit seiner Nase im Weinglas jede einzelne Traube
würdigte, bevor er trank, und wie er Siegfried zärtlich über den Kopf strich.
Es waren kleine perfekte Momente. Momente, die keiner Worte bedurften, doch
jetzt brauchte ich sie und fand keine. Bo, flüsterte ich.
    Ich dachte an seine Küche, die nach
Schwein roch, und an seinen messerscharfen Verstand, und ich dachte an Bo, wie
er neben mir in der Oper saß, die sonst wilden Haare ordentlich gescheitelt,
meine Hand nahm und die Musik plötzlich vielfarbig wurde. Mir fiel meine Mutter
ein, die mich fragte, kocht dein Blut, Ada, kannst du es fühlen, und ich fühlte
in mich hinein und damals sah ich es nicht, weil ich es nicht kannte, aber
jetzt war es da, eine Atemnot, ein Wortstillstand und ein großer Schmerz, und
ich flüsterte, ich liebe dich, Bo, in das Knacken am anderen Ende der Leitung,
und das Schweigen stimmte unser Ende an wie eine Fanfare. Ich wusste nicht, was
es bedeutete.
    Später auf dem Bahnhof hatte ich es
verstanden, bei dem vierten Zug, der Bo nicht brachte. Ich wartete drei Stunden
auf Bo. Nachdem er nicht aus dem ersten Zug ausgestiegen war, wusste ich, dass
er nicht kommen würde. Trotzdem wartete ich. Züge rauschten an mir vorbei und
Gesichter verschwammen in ihnen zu einem trostlosen Pastellgemisch. Der Wind
fegte eisig über den Bahnsteig. Der Himmel war grau und trieb träge Wolken vor
sich her.
    Die Türen öffneten sich und spuckten
hastige Menschen aus. Eine Frau schleppte vier Plastiktüten und zog ein Bein
nach, sie ächzte unter dem Gewicht ihres Gepäcks. Ein Mann stand neben ihr und
drängelte, los jetzt, sagte er. Er zog eine Zigarette aus der Manteltasche,
steckte sie an und blies ihr den Rauch ins Gesicht. Sie blickte auf ihre Tüten
und ging langsam weiter. Kann ich helfen, fragte ich und sie sah auf, was fällt
Ihnen ein, sagte sie.
    Zwei Kinder jagten einander um den
Fahrkartenautomaten und die Mutter versuchte, sie zu beruhigen. Bleibt stehen,
rief sie und die Kinder rannten kreischend noch schneller. Ein Pärchen umarmte
sich und er küsste sie lange mit geschlossenen Augen, sie sah an seinem Kopf
vorbei zu den Leuten und ihr Gesicht war rot. Lass, sagte sie und er weinte.
    Ein Obdachloser wühlte in den
Mülltonnen und sammelte Zigarettenstummel vom Bahnsteig, ein junges Mädchen
warf eine Zigarette vor seine Füße und klebte einen Kaugummi an die Wand. Sie
schmiss ihre Haare nach hinten. Er bückte sich, seine Hände waren schwarz. Das
Mädchen sah in eine andere Richtung, die Wolken hingen tief.
    Bo kam nicht. Nach drei Stunden stand
ich auf und verließ den Bahnhof. Ich ging nicht nach Hause, denn dort wartete
alles auf Bo, auch die Wände. Ich lief los und die Stadt, in der ich viele
Jahre gelebt hatte, kam mir fremd vor. Die Kirchen, die Häuser, die grauen
Straßen mit ihren kreischenden Straßenbahnen, die vielen Menschen, der ölige
Geruch, fremd, alles noch nie da gewesen. Das Prasseln des Regens verschluckte
meine Schritte und die Menschen verschwammen in der Kälte zu konturlosen
Nichtigkeiten. Wo bist du, flüsterte ich in die Dunkelheit.
    Er hat Schweine, hatte mein Vater
gesagt und ich dachte darüber nach, was ich hatte. Ich dachte, es
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