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Acht Tage im August

Acht Tage im August

Titel: Acht Tage im August
Autoren: Michael Winter
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Tag, durchnässt vom Regen, wieder hinaufgestiegen waren, um sich zu lieben, wie Anna, als er ging, noch auf der Decke liegen geblieben war, um sich eine Weile später, wie immer, allein aus dem Turm zu schleichen, die Tür zu versperren, den Schlüssel zurückzuhängen und die Kirche ungesehen zu verlassen.
    Assauer durchzuckte es. Da war die Antwort auf die letzte Frage: ›Ist das Mädchen da runtergesprungen?‹ Die Antwort lautete: ›Nein, gesprungen ist sie nicht!‹
    Er ging zu ihnen hin. Die beiden starrten ihn an wie ertappte Kinder. »Kommt mit«, sagte er, »wir müssen es zu Ende bringen.« Vom Auto aus rief er Hammer an, nannte ihm den Treffpunkt und setzte hinzu: »Bring die Gerstmann auch mit.«
    Als sie eine Weile gefahren waren, wandte Assauer sich zu Johannes, der auf dem Rücksitz saß.
    »Eines muss ich unbedingt wissen«, sagte er, »wie haben Sie und Anna Kontakt gehalten? Wir rätseln seit Tagen.«
    Johannes lachte kurz. »Wir haben einfach telefoniert, per Handy. Anna hat aber meine Nummer mit Namen und Foto einer Klassenkameradin eingespeichert, damit ihre Mutter nichts merkt. Sie hatte den Verdacht, dass die ihr nachschnüffelt.«
    »Und wir sind auch prompt drauf reingefallen«, gab Assauer zu. »Auf so was Einfaches sind wir gar nicht erst gekommen.« Er schüttelte den Kopf. So simpel, dachte er, so verdammt simpel. Dann konzentrierte er sich wieder aufs Fahren.

    ***

    Als Pfarrer Arnsberger die zweite große Kerze neben dem Altar anzündete, ging die Tür hinten in der Kirche auf und ein Luftzug blies die Flamme wieder aus. Arnsberger sah sich um. Fünf Gestalten bewegten sich im Gegenlicht wie Schattenrisse durch das Kirchenschiff auf ihn zu. Er drehte sich zu ihnen hin, kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Hammer, Assauer, Johannes, Walter Friese, ganz hinten Petra Gerstmann.
    Er ging ihnen ein paar Schritte entgegen.
    »Was führt euch zu mir?«, fragte er.
    »Der dringende Wunsch nach einer Beichte«, antwortete Assauer.
    Arnsberger wich zurück. »Woher …?«
    »Der Schlüssel«, sagte Assauer. »Sie hätten den Schlüssel oben lassen sollen.«
    Der Pfarrer sackte auf eine Kirchenbank, barg den Kopf in seinen Händen. Dann, nach einem tiefen Atemzug, blickte er auf, erzählte, wie er Johannes hatte durchnässt von der Kirche zum Pfarrhaus laufen sehen, wie er kurz darauf in die Sakristei gegangen war, um einiges für das anstehende Fest, Mariä Himmelfahrt, vorzubereiten, das Fehlen des Schlüssels bemerkt hatte, hinaufgestiegen war, wie er Anna, als sie seine Schritte vernahm, rufen gehört hatte: »Ich bin noch da, Schatz!«, wie sie, noch immer nackt auf der Decke liegend, ihn schreckensbleich angestarrt hatte, aufgesprungen, vor ihm zurückgewichen war, wie er sie als gottlose Hure beschimpft, sie immer weiter zurückgedrängt, zu ergreifen gesucht hatte, wie sie gestolpert, gefallen, hinabgestürzt war, wie er Schlüssel und Decke aufgehoben hatte, wieder hinabgestiegen war, die Tür unverschlossen gelassen, den Schlüssel zurückgehängt und zwei Stunden später mit Johannes die Abendandacht gehalten hatte, als sei nichts gewesen.
    Niemand sagte etwas, als er geendet hatte.
    Hätte man sie gleich gefunden, wäre sie vielleicht noch zu retten gewesen, schossen Assauer die Worte der Erdmann durch den Kopf. Er blickte zu Hammer, zu Friese, zu Johannes und schließlich zu Petra Gerstmann. Dann wanderte sein Blick zu dem Gekreuzigten überm Altar.
    »Und du«, sagte er in dessen Richtung, »du hast zugesehen.«
    Dann, nach einem Moment Pause, mit Verachtung in der Stimme: »Geh’n wir raus hier.«
    »Darf ich noch meinen Mantel …?« fragte der Pfarrer leise.
    Assauer nickte.
    Arnsberger stand auf, ging langsamen Schrittes zur Sakristei, als wolle er noch ein letztes Mal seine Kirche spüren, die er nicht wiedersehen würde. Dann, mit einer Flinkheit, die man seiner ausladenden Gestalt nie zugetraut hätte, riss er den Schlüssel vom Brett, sperrte die Tür zum Turm auf, sprang förmlich hindurch, schlug sie zu, sperrte hinter sich ab. Hammer reagierte, aber Assauer hielt ihn zurück, schüttelte nur leicht den Kopf. Durch die Tür hörte man Arnsbergers schwere Schritte auf der Treppe.
    »So tun Sie doch was!«, kreischte Petra Gerstmann hinter ihnen. »Wenn er sich was antut, haben Sie das zu verantworten, dann können Sie was erleben!«
    Assauer langte in die Jackentasche, zog das Schreiben hervor, das ihm Waldhauser im Krankenhaus diktiert hatte, und
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