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Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 2

Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 2

Titel: Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 2
Autoren: Kerstin Gier
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Haarsträhnen prüfend in die Hand.
    »Oh nein!«, sagte ich.
    »Oh doch!«, sagte meine Schwester. »Man muss auch Opfer bringen können.« Sie brauchte ein bisschen Überredungskunst, um mich von ihrem teuflischen Plan zu überzeugen, aber wenn meine Schwester etwas beherrschte, dann war es die Kunst der Überredung. Und wie gesagt, für eine Mark konnte man sich damals eine Menge kaufen.
    Wir warteten fünfzig Kilometer, in denen meine Mutter sich in Sicherheit wiegen sollte, dann sagte meine Schwesterunvermittelt: »Du, Mama, ich glaube, da ist doch noch ein weißes Haar!«
    Sofort fuhr meine Mutter hoch. »Wo? Wie? So schnell? Mach es weg! Mach es weg!«
    Meine Schwester packte eins von Mamas schwarzen, glänzenden Haaren und rupfte es samt Wurzel aus. Dann hielt sie meiner Mutter das schneeweiße Kinderhaar hin, das sie zuvor mir ausgerupft hatte, ebenfalls mit Wurzel.
    »Aaaaaaarrgh«, röchelte meine Mutter bei seinem Anblick. »Ich kann es nicht glauben. Es geht stündlich mit mir bergab.«
    »Wenigstens ist es nicht so borstig wie das andere«, meinte mein Vater und drehte sich zu uns um. Wir versuchten, so unschuldig wie möglich auszusehen.
    »Das macht dann eine Mark, bitte«, sagte meine Schwester.
    Meine Mutter holte ihr Portemonnaie aus der Handtasche. »Das ist es mir wert. Jedes weiße Haar, das ihr findet, ist mir eine Mark wert.«
    »Ich glaube, ich sehe noch eins«, sagte ich, als mein Vater sich wieder auf die Straße konzentrieren musste.
    »Mach es weg«, kreischte meine Mutter.
    Das ließ ich mir doch nicht zweimal sagen. Vor lauter Eifer riss ich gleich zwei schwarze Haare aus. Dafür bekam meine Mutter aber dann auch zwei von meinen unter die Nase gehalten.
    »So viele!«, sagte sie matt und kramte in ihrem Portemonnaie. »Kannst du wechseln?«
    Meine Schwester hatte mir hoch und heilig geschworen, dass die Haare wieder nachwachsen würden, sowohl beimir als auch bei meiner Mutter. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob das stimmt, aber in diesem Moment war es mir wohl auch egal.
    Bis zum Gardasee hatten meine Schwester und ich jeder fünf Mark verdient, und das, obwohl meine Mutter nach dem sechsten Haar mit dem Preis heruntergegangen war und nur noch fünfzig Pfennig pro Fund zahlte. Wenn mein Vater uns nicht auf die Schliche gekommen wäre, würden wir wohl heute noch eine sichere Einkommensquelle vorweisen können.
    So leicht verdiente ich mein Geld jedenfalls nie wieder.

Warum in die Ferne schweifen?
oder die Angst, sich zu weit von zu Hause zu entfernen
    Meine Großmutter väterlicherseits hatte eine Aschenbechersammlung, die ich als Kind immer sehr bewundert habe. Zumal meine Oma Nichtraucherin war und die Aschenbecher auf der Fensterbank der reinen Zierde dienten. Die guten Stücke pflegte meine Oma von ihren Reisen mitzubringen. Es waren über hundert Stück.
    Ehrfurchtsvoll entzifferte ich: »Waldbronn, Bad Schussenried, Manderscheid«, und meine Oma sagte: »Ja, da sind wir überall schon gewesen.«
    Ich strich über die auf Porzellan gemalte Ansicht von Bad Reichenhall und dachte, wenn ich groß bin, fahre ich da auch mal hin.
    Als ich etwas älter war, rümpfte ich über die Aschenbecher nur noch die Nase. Und nach Bad Reichenhall? Nur über meine Leiche.
    Erst vor ein paar Jahren, als ich eine Lesung in Bad Reichenhall hatte, musste ich mein Urteil revidieren. Bad Reichenhall ist toll. Und nicht nur Bad Reichenhall. Überall in Deutschland gibt es wundervolle Städte, Dörfer und Landschaften, Millionen von Japanern würden das bestätigen. Wir wären doch schön doof, wenn wir das, was die Unesco zum Welterbe erklärt hat, einfach links liegen ließen.
    Urlaub in Deutschland ist inzwischen wieder absolut salonfähig. Selbst Insa organisiert ab und an eine Busreise nach Idar-Oberstein. Für diesen Herbst sind noch Plätze frei.
    Gerade für diejenigen von uns, die unter diversen Phobien leiden, bringt ein Urlaub in Deutschland nur Vorteile mit sich, über die es sich mal nachzudenken lohnt.
    Erstens: Überall gibt es Aldi. Man braucht keine Angst zu haben, die Sonderangebote zu verpassen und sich nur wegen des Urlaubs den Testsieger aller Tischstaubsauger durch die Lappen gehen zu lassen.
    Zweitens: Die Einheimischen sprechen unsere Sprache. Ja, auch in Sachsen und Bayern, man muss nur ein bisschen genauer hinhören.
    Drittens: Die Stecker von Föhn und Rasierer passen problemlos in die Steckdosen.
    Viertens: Kontakte zu Ausländern können Sie auch wunderbar im Schwarzwald,
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