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Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 2

Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 2

Titel: Ach, wär ich nur zu Hause geblieben - Band 2
Autoren: Kerstin Gier
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fand es superöde.«
    Achim ist Insas Mann.
    Und würde man mich heute bei »Wer wird Millionär?«, nach West-Transdanubien fragen, könnte ich wie aus der Pistole geschossen antworten: »Das liegt in Ungarn, und das weiß ich deshalb, weil meine Freundin Insa dort eine ganze Woche verbringen musste. Ihr Mann ist dort als Auslandsbeauftragter der Industrie- und Handelskammer in Sachen Oststandorte für die deutsche Chemieindustrie von Gewerbegebiet zu Gewerbegebiet gefahren.«
    Günter Jauch würde mich anlächeln und sagen: »Na, dann haben Sie Ihrer Freundin Insa sechzehntausend Euro zu verdanken.«
    Schön wär’s ja.
    Nach gründlichem Studium des Atlasses habe ich beschlossen, den nächsten Urlaub in Süd-Levogonien zu verbringen, jedenfalls wenn Insa nach unseren Plänen fragen sollte. Wo genau in Süd-Levogonien weiß ich noch nicht.

Ferientaschengeld
oder das Geschäft mit der Angst, unterwegs zu altern
    Meine Mutter hat von Natur aus wunderschöne, glänzende, schwarze Locken, die sie leider keinem von uns vererbt hat. Meine Schwester hat glattes, hellbraunes Haar, ich bin mittelblond wie mein Vater, das spektakuläre Weißblond-Gelockte meiner Kinderzeit hat sich leider nicht gehalten.
    Obwohl sonst vom Charakter her eher uneitel, war meine Mutter auf ihre Haare sehr stolz. Umso härter traf es sie, als sie eines Tages im Auto im Kosmetikspiegel der Sonnenblende das erste weiße Haar entdeckte.
    Sie schrie bei diesem Anblick so schrill auf, dass mein Vater dachte, er habe ein Eichhörnchen überfahren, und zu Tode erschrocken den Nächsten Parkplatz ansteuerte.
    »Ich werde alt!«, rief meine Mutter, packte das weiße Haar zwischen Zeigefinger und Daumen und riss es samt der Wurzel aus. »Ich bin erst sechsunddreißig Jahre alt und werde schon weiß! Was kommt als nächstes? Ein Truthahnhals?«
    Mein Vater schnaubte und gab wieder Gas. »Ich hatte mit sechsundzwanzig schon eine Glatze«, sagte er. »Du beschwerst dich beim Falschen.«
    Wir waren auf dem Weg an den Gardasee, und die Landschaft links und rechts des Weges wurde immer interessanter,je weiter südlich wir kamen. Bis zur Entdeckung des weißen Haares hatte meine Mutter uns gut gelaunt auf jedes Fohlen, jeden Raubvogel, jede Burgruine und jeden alten Baum draußen hingewiesen. Aber nun hatte sie keinen Blick mehr für die Schönheiten der Landschaft. Sie verrenkte sich, um ihren Hinterkopf im Spiegel betrachten zu können.
    »Sind da noch mehr weiße Haare, Kinder?«, fragte sie meine Schwester und mich mit unverkennbarer Hysterie in der Stimme.
    Wir beugten uns über sie und durchsuchten ihren Kopf Strähne für Strähne. Tatsächlich fanden wir noch ein weißes Haar. Es unterschied sich von den anderen nicht nur durch die Farbe, sondern auch durch die Konsistenz: Es war dick und borstig und stand ab wie ein Draht.
    Auch dieses Haar wurde gnadenlos ausgerupft, und meine Mutter stöhnte dumpf, als sie es betrachtete.
    »Der Anfang vom Ende«, murmelte sie und wollte das Haar aus dem Fenster werfen.
    »Nicht!«, sagte mein Vater. »Das können wir vielleicht noch brauchen. Vielleicht als Dietrich oder als Blumendraht oder als Abschleppseil oder einfach, um jemandem das Auge auszustechen.«
    »Darüber macht man keine Witze«, jammerte meine Mutter. »Ich bin eine alte Schachtel.« Weil sie aber nicht der Mensch war, der sich wehrlos in sein Schicksal zu fügen pflegte, ergriff sie sofort Gegenmaßnahmen.
    »Ich gebe euch für jedes weiße Haar, das ihr mir ausrupft, eine Mark«, sagte sie.
    Das war in der Tat ein Ansporn. Wir schrieben das Jahr1972, und für eine Mark konnte man sich damals noch eine Menge kaufen. Meine Schwester und ich wühlten uns deshalb eifrig durch die schwarze Lockenpracht. Aber zu unserem großen Kummer fanden wir kein einziges weißes Haar mehr.
    Meine Mutter war erleichtert. Sie schüttelte die Frisur wieder in Form und lehnte sich zurück, überzeugt, dem Alter noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein.
    Meine Schwester und ich ärgerten uns über den Verdienst, der uns durch die Lappen gegangen war.
    Ich verstand allerdings nicht, warum meine Mutter sich darüber so aufregte. Was war an weißen Haaren denn so schlimm? Ich hatte schließlich auch welche.
    »Wenn ich mal weiße Haare kriege«, sagte ich zu meiner Schwester, »dann kann man sie von meinen anderen Haaren ja gar nicht unterscheiden.«
    Das brachte meine Schwester auf eine wirklich tückische Idee.
    »Ja, allerdings !«, sagte sie und nahm eine meiner
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