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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande
Autoren: David Anthony Durham
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mit den Fingerspitzen über ihre Wange streichen, bis hinunter zu ihren Lippen, und er fragte sich, ob er wohl die Shivith-Flecken spüren könnte, wenn er die Augen schloss.
    Als Mór weitersprach, hatte es den Anschein, als hätte sie einen Teil seiner eigenen Gedanken aufgenommen, sie in etwas anderes eingewoben und würde ihm das alles nun zurückgeben. »Auch wenn ich dir die Flecken selbst eintätowiert habe, erkenne ich das Gesicht nicht ganz, das ich gemacht habe. Ich werde mich langsam an dich gewöhnen müssen, Dariel Akaran. Ich sollte dir sagen, dass es mittlerweile sicher ist, dass die Auldek gegen dein Heimatland ziehen werden. Ich kenne nicht alle Einzelheiten, aber sie nehmen eine Armee mit, wie sie sie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr zusammengezogen haben. Sie nehmen Kriegsbestien mit und viele Mitglieder der Ehrfurchtgebietenden Bewegung. Ich kann nicht sagen, inwiefern dies Ushen Brae verändern wird, oder inwiefern es dein Land verändern wird. Doch du hast uns geholfen. Yoen möchte dich kennenlernen, aber ich habe ihm gesagt, dass ich dir vorher anbieten möchte, dich freizulassen. Wenn du jetzt gehen und irgendwie versuchen willst, deinem Volk zu helfen, werde ich dich nicht aufhalten.«
    Noch vor vierzehn Tagen hätte er eine solche Gelegenheit ohne Zögern ergriffen. Jetzt hingegen nahm er das Angebot ungerührt hin. Nicht dass er sich weniger um die Bekannte Welt sorgte oder um seine Familie oder um Wren. Aber die Wahrheit war zweigeteilt. Allein würde er es niemals nach Hause schaffen. Allein war er nichts weiter als ein einzelner Mann, der schreien müsste, damit irgendjemand ihn bemerkte, und die Einzigen, die ihn bemerken würden, würden seine Feinde sein. Allein würde er sich nur vergeblich abmühen – eine Mühe, die von Herzen kam, ja, gewiss, aber die nicht mit dem Kopf durchdacht war. Und außerdem hatte er das Gefühl, dass er noch eine andere Aufgabe zu erledigen hatte. Dieses Gefühl hatte ihn auf dem Schiff der Lothan Aklun überkommen und seither nicht mehr losgelassen. Vielleicht hatte er Geister in sich aufgenommen, als er das Steuerruder in den Händen gehalten hatte. Irgendetwas war geschehen, denn er war anders, und dadurch, dass er anders war, fühlte er sich einen Schritt näher daran, ganz und gar er selbst zu sein.
    »Ich würde mich gerne mit Yoen treffen«, sagte er.
    »Du willst uns wirklich kennenlernen?«, fragte Mór. »Uns und dieses Land?«
    »Ja«, sagte Dariel.
    »Du weißt, dass ich dir nichts vergeben habe. Es kann sein, dass du tatsächlich eine Rolle in der Zukunft des Volkes spielen wirst, aber das wird erst in vielen, vielen weiteren Prüfungen entschieden werden.«
    »Das weiß ich.«
    »Und du weißt auch, dass es von hier aus keinen einfachen Weg zurück in dein Land gibt.«
    »Das weiß ich.«
    Mór starrte ihm lange in die Augen, so lange, dass es ihm allmählich schwer fiel, ihren Blick zu erwidern. Dariel spürte, wie seine Augen feucht wurden, aber er blinzelte nicht und schaute auch nicht weg. »Es kann sein, dass wir beide – du und ich – Realisten sind. Und ich glaube, auch Träumer. Aber eben auch Realisten. Du kannst jetzt nicht sofort in dein Land gehen. Und ich kann jetzt die eine größte Tat nicht vollbringen, die ich zu vollbringen hoffe. Aber ich sage dir zumindest dies: Wenn der Tag kommt, an dem unsere Arbeit hier getan ist, gehe ich mit dir in dein Land. Ich werde so lange jagen, bis auch der letzte Auldek tot ist. Und wenn ich meinen Willen bekomme, werde ich meinem Bruder noch einmal in die Augen sehen können, ehe er aus der Welt der Lebenden entschwindet. Das ist einer meiner Träume.«
    Sie brach den Blickkontakt ab, als wenn es nichts Besonderes wäre. »Komm mit«, sagte sie nüchtern, drehte ihm den Rücken zu und machte sich daran, den Felshang wieder hinunterzusteigen.
    Dariel sah ihr einen Augenblick nach, dann hob er den Blick und schaute zur sinkenden Sonne hinüber, über die Baumkronen hinweg, deren üppiges Grün von einem flammenden Himmel vergoldet wurde. Ganz kurz durchzuckte ihn der Impuls, sich umzudrehen und sich den Weg anzusehen, den sie gekommen waren, oder Tunnel oder Skylene anzusehen, doch aus irgendeinem Grund verspürte er den Drang, nur nach vorne zu schauen. Schließlich setzte er sich in Bewegung und spürte den felsigen Hang unter seinen Füßen. Er folgte Mór auf der Suche nach ihrem wunderschönen Land, bevölkert von wilden Geschöpfen und freien Menschen.

51

    In der Nacht vor
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