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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande
Autoren: David Anthony Durham
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sie.
    Beim Klang ihrer Stimme wurde der Mann schlagartig hellwach. Plötzlich zu Tode erschrocken und in Angst und Schrecken versetzt, drehte er sich um und hantierte lange mit den Schlüsseln an der Tür herum, wobei er sich die ganze Zeit entschuldigte, die Schlüssel zweimal fallen ließ, sich selbst verfluchte und sich dann noch mehr entschuldigte. Seine Angst vor ihr schien völlig unangemessen, doch als Corinn die Zelle betrat, erinnerte sie sich daran, dass ein Mann, der diesen Gefangenen bewachte, allen Grund hatte, sie zu fürchten.
    Barad saß auf einer Pritsche an der hinteren Wand. Das Bett wirkte winzig unter ihm, wie das eines Kindes. Sie fragte sich, ob er sich jemals darauf niederlegte, denn seine Beine und Arme würden gewiss auf den Steinboden herabhängen. Er war bereits dünner als damals, als sie ihn zuletzt gesehen hatte, wirkte kantig, mit übergroßen Gelenken. Seine Beine waren unnatürlich lang, und er stützte die gekreuzten Arme, auf denen seine Stirn ruhte, auf die Knie. Eine einzige Kette führte von seinem Handgelenk zu einem eisernen Ring in der Mauer. Als Barad sie eintreten hörte, hob er den Kopf und rollte seine blinden steinernen Augen in ihre Richtung.
    Ja, dachte sie, es gibt Gründe, mich zu fürchten. Sie drehte sich um und bedeutete dem Wächter mit einer Handbewegung, sie allein zu lassen. Der Mann tat es nur zu gern.
    »Du riechst nicht wie ein Marah«, sagte der Gefangene nach ein paar Augenblicken der Stille. Seine Stimme klang immer noch so schwer und voll, wie sie sie in Erinnerung hatte. Sie hatte ein Gewicht und eine Substanz, die nicht zu dem dünnen, ausgemergelten Körper passten, aus dem sie kam.
    »Bekommst du genug zu essen?«, fragte Corinn.
    Der Mann kniff die Augen zusammen. Sie wusste, dass er sie nicht sehen konnte, doch lebenslange Gewohnheiten bestimmten noch immer sein Verhalten. »Die Königin? Dann stattet also die Königin einem blinden Gefangenen einen Besuch ab? Um ihn zu fragen, wie das Essen ist? Die Welt hält immer noch Überraschungen bereit. Ja, sie bringen mir etwas zu essen. Ich habe allerdings keinen großen Appetit.«
    »Dann musst du wieder Appetit bekommen«, sagte Corinn. »Wenn ich deinen Tod wollte, hätte ich dich getötet. Ich will nicht, dass du verhungerst.«
    Barad legte den Kopf in den Nacken, und aus der Bewegung wurde ein in dem kleinen Raum deutlich hörbares Gähnen. Als er damit fertig war, rieb er sich mit der gefesselten Hand die Nase. Die Ketten klirrten dumpf. »Wie freundlich von Euch.«
    »Nein, eigentlich nicht. Ich habe für Freundlichkeit nicht mehr allzu viel Verwendung. Zumindest nicht für Freundlichkeit um ihrer selbst willen.« Corinn ließ den Blick einen Moment lang durch die Zelle schweifen, obwohl es nichts Auffälliges zu sehen gab. »Weißt du, dass mein Sohn beinahe ums Leben gekommen wäre?«
    Barad zog eine Augenbraue hoch, ebenfalls eine Geste, die ein Sehender gemacht hätte. »Ich habe davon gehört, ja«, sagte er. »Es tut mir leid. Unserem bösen Tanz sollten keine Unschuldigen zum Opfer fallen.«
    »Verräter haben versucht, ihn zu töten, Barad. Verräter, die dich ebenfalls töten und all die Menschen versklaven oder abschlachten würden, die du so liebst. Diese Verräter haben sich dadurch offenbart, dass sie versucht haben, meinen Sohn und mich zu töten. Verstehst du? Das ist etwas, das du nicht zur Kenntnis genommen hast. Für die Welt repräsentieren die Akarans die Menschen, die du liebst. Wenn ein Feind diesen Menschen ein Leid zufügen will, zielt er zuerst auf das Herz eines Akaran. Denke an meinen Vater.«
    Der Gefangene sann eine respektvolle Zeitspanne über ihre Worte nach. Dann sagte er: »Ich sehe das nicht ganz so wie Ihr.«
    »Ja«, schnappte Corinn, »aber du siehst es auch nicht auf irgendeine andere Weise. Du kannst es nicht sehen! Du hast es niemals sehen können!«
    »Und Ihr habt dafür gesorgt, dass ich auch nie wieder etwas sehen werde.« Er sagte diese Worte traurig und atmete dabei tief ein. »Es hat mir gefallen, die Welt zu sehen. Doch, wirklich. Ihr habt keine Ahnung, wie es ist, nichts zu sehen, sondern Steine im Kopf knirschen zu hören, wenn man die Augen bewegt.«
    »Vor Alivers Krieg gegen Hanish hast du behauptet, du hättest geträumt, dass er zurückkehren würde. Damals, als niemand gewusst hat, ob er überhaupt noch lebt, hast du damit geprahlt, dass er in deinen Träumen zu dir gesprochen hat. Ist das wahr, oder war es eine eigennützige
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