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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande
Autoren: David Anthony Durham
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jenem Tag, an dem sie die größten magischen Taten in Angriff nehmen wollte, an denen sie sich jemals versucht hatte, hatte Corinn einen Traum. Als sie erwachte, hatte sie das Gefühl, dass er bedeutungsschwer und schuldbeladen war. In dem Traum hatte sie einen Frühlingsnachmittag neu durchlebt, an dem sie und Aaden in einer Kutsche von Calfa Ven heruntergefahren waren. Wie so häufig war dem Jungen von dem Rumpeln und Ruckeln auf den unebenen Steinen schlecht geworden. Er wurde bleich und saß einige Zeit still da, kämpfte gegen das an, was dann wie gerufen auf einem besonders steilen Teilstück der Strecke in einer Fontäne aus ihm herausbarst.
    Corinn hasste den Geruch von Erbrochenem, der ihr wie etwas Giftiges in die Nase stieg. Sie hatte nie mit dieser Art von Unpässlichkeit umgehen können, und an jenem Tag, von dem sie träumte, war das ebenfalls der Fall gewesen. Daher war sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit aus der Kutsche gestiegen und hatte es ihren Zofen überlassen, sich um ihren Sohn zu kümmern, während sie einige Zeit zu Fuß gegangen war und ihre Lunge mit der frischen Bergluft gefüllt hatte.
    Dieser Teil des Traums war einfach nur eine Version dessen, was tatsächlich geschehen war, eine kleine und folgenlose Begebenheit an einem Nachmittag in den Bergen. Was als Nächstes geschah, war in Wirklichkeit nicht passiert. Es hatte nicht passieren können. Die Beteiligten waren an jenem Tag nicht alle am Leben gewesen.
    Während sie dahinschritt und das Gebirgspanorama auf sich wirken ließ – das Grün und Blau der Gipfel vor ihr, das langsam schwand, je niedriger sie wurden –, erschien zu ihrer Linken ein Mann und betrachtete das Szenario mit ihr. Corinn wusste, wer er war, noch ehe sie zur Seite sah und ihr Blick auf ihn fiel: ihr Bruder Aliver.
    Er sagte nichts, lächelte sie nur an, dann schüttelte er den Kopf und deutete zurück zu der Kutsche, in der Aaden saß, wahrscheinlich immer noch grün im Gesicht. Er sagte, dass er sie verstand und dass er den Jungen liebte. So ein guter Junge. Er sagte, der Junge würde der König werden, der er selbst nie hatte sein können. Er sagte, er verstünde Corinns Handlungen, und dass sie sich nicht zu erklären brauche, selbst jetzt nicht, da sie in der frischen Luft spazieren ging, während ihre Zofen ihrem Sohn den Mund abwischten und die Spuren des Erbrochenen beseitigten.
    »Ich bin keine schlechte Mutter«, hatte Corinn gesagt, obwohl Aliver nichts gesagt hatte, was darauf hingedeutet hätte, dass er das denken würde. »Du ahnst nicht, wie sehr ich ihn liebe.«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte eine Stimme. Sie gehörte nicht Aliver, sondern dem Mann zu ihrer Rechten, der ebenfalls mit ihnen dahinschritt. Sie drehte sich zu ihm um. Hanish Mein. Seine glatten, frischen Gesichtszüge. Seine blonden Haare umrahmten schimmernd sein Gesicht und fielen ihm auf die Schultern. Seine grauen Augen leuchteten. Sie wollte ihre Lippen darauf pressen und ihre sanftmütige Ruhe in sich aufsaugen.
    Bevor sie es konnte, neigte Hanish den Kopf nach vorn, dann warf er sich vorwärts und schlug einen Purzelbaum. Ehe er ihn vollendet hatte, verwandelte sich sein Körper in ein großes, orangefarbenes Blatt, das in einer plötzlich aufkommenden Brise tanzte. Aliver tat dasselbe, und die beiden Männer, die nun Blätter waren, wirbelten und tanzten in den Luftströmungen. Corinn sah ihnen zu und fing an zu pfeifen.
    Obwohl diese letzten Augenblicke voller Freude gewesen waren, stellte sie beim Aufwachen fest, dass die Erinnerung an den Traum – und an den Tag, an dem er seinen Ausgang genommen hatte – als körperlicher Schmerz in ihren Leib eingebettet war; die schmerzhafte Verkrampfung wich auch dann nicht, als sie sich ihrem Tagesablauf widmete. Sollte sie jemals wieder die Gelegenheit dazu bekommen, würde sie Aaden, wenn er unter so einer Übelkeit litt, an sich ziehen und ihn küssen und streicheln, und sie würde es von ganzem Herzen tun und sich nicht zurückhalten, das schwor sie sich. Aber dies war nichts, womit sie sich heute befassen konnte. Daher schob sie es beiseite und setzte den Kurs fort, für den sie sich entschieden hatte.
    Als Erstes überraschte sie einen Wächter, in dem sie plötzlich vor der Zelle auftauchte, die den Gefangenen Barad den Geringeren beherbergte. Der Soldat schlief beinahe im Stehen und schien Corinn nicht als wirkliche Person wahrzunehmen, bis sie dicht vor ihm stand. »Mach die Tür auf, Soldat«, sagte
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