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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Autoren: Ralf Boscher
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wirklichen Annäherung für unwürdig erwies, da ich sie nicht durch die ausschlaggebenden sportlichen Leistungen errungen hatte.
    Weil ich aber nicht einfach nur herumsitzen konnte, begann ich zu schreiben. Ich saß bei den Mädchen, balancierte ein Schulheft auf meinen schmalen Knien und schrieb auf, was ich so sah und was mir alles so durch den Kopf ging. Und ich sah so einiges, hörte manches und konnte mir vieles vorstellen. Niemand ahnte, wie nah ich den Mädchen in meiner Phantasie kam. Unbeachtet von den anderen füllte ich die Seiten meines Heftes mit Überlegungen darüber, wer wohl was mit wem wann und wo getan haben oder tun könnte. Setzte mich mittels einer einfachen grammatikalischen Operation an die Stelle derer, die nicht von den Mädchen verschmäht wurden. Und mit jeder Seite, die ich schrieb, wuchs die Zuversicht in mir. Mein jugendliches Gemüt brannte bei dem Gedanken daran, dass auch ich nicht immer abseits bleiben würde. Daran glaubte ich schließlich ganz fest. Einmal werden auch mir die Türen zu den bislang nur aus der Ferne geahnten wunderbaren Welten offen stehen. Und dann – etliche vollgeschriebene Hefte später – war die Zeit gekommen.
    Es war im September, Schützenfest. Das erste Schützenfest, welches ich ohne meinen Opa verbrachte (und ebenfalls das Erste, an dem ich mit dem Alkohol und dem Nikotin Bekanntschaft machen sollte). Opa hatte es immer geliebt, den durch die Straßen des Dorfes marschierenden Schützen zuzusehen. »Stramme Jungs!«, pflegte er zu sagen und bat mich, ihn zur nächsten Stelle zu schieben, an welcher der Schützenzug vorbeikommen würde. Einmal hatte er wohl gespürt, dass es mir zu Herzen ging, diese strammen Jungs marschieren zu sehen, wo ich doch aufgrund meiner orthopädischen Schwierigkeiten von diesem Vergnügen ausgeschlossen blieb, und da hat er meine Hand gedrückt und gesagt: »Ein gesundes Volk braucht auch seine Denker. Meinst du, Goethe ist marschiert? Goethe war Minister und hat die anderen marschieren lassen«. Damals kannte ich Goethe noch nicht, es stand nur eine sehr schmucke Buchclub-Ausgabe im Bücherregal meiner Eltern, die ich nicht wagen durfte, zur Hand zu nehmen. Aber dadurch lernte ich, dass das, was der Herr Goethe getan hatte, offensichtlich etwas Besonderes war, weil es so in Ehren gehalten wurde, dass es nicht durch Kinderhände gehen durfte. Wer weiß, ob ich ohne den Hinweis meines Opas und ohne die Hochschätzung, die den Erzeugnissen des Dichters Goethe in unserem Hause entgegengebracht wurde, auf das Schreiben gekommen wäre (auch wenn ich heute weiß, dass diese nicht seinen Worten, sondern der teuren Verpackung seiner Worte galt). Aber so wurde ich auf einen Weg geführt, auf dem mir an besagtem Schützenfest meine erste Liebe begegnen sollte. Es war nicht die schlechteste aller Ideen gewesen, aufs Schreiben zu verfallen. Denn das Schreiben wurde zum Tor, durch welches die Liebe in mein Leben trat.  
     
    6.
     
    Es war der Montagabend, das heißt der Abend des Galaballs. Ich saß an einem Tisch in der Ecke des Festzeltes und schrieb meine Beobachtungen in ein Schulheft. Das offizielle Zeremoniell war bereits über die Bühne gegangen, Volk und Hofstaat mischten sich bunt auf der Tanzfläche, da trat sie an meinen Tisch.
    » Was schreibst du denn da?«, fragte sie mich und brachte mich damit in gehörige Verlegenheit. Mir fehlte es eindeutig an Erfahrung, von einem fremden Mädchen angesprochen zu werden. Zudem musste ich – als ich überrascht aufblickte – feststellen, dass es kein Mädchen war, das das Wort an mich richtete. Sie war bestimmt schon fünfundzwanzig, mindestens aber zwanzig, und ich fand, dass sie all das auf den ersten Blick ausstrahlte, was ich bei den Mädchen aus meinem Bekanntenkreis in mühsamer Forscherarbeit erst ans Licht bringen musste. All die Erfahrungen, die mich so interessierten, standen ihr geradezu ins Gesicht geschrieben. Allerdings war es nicht gleich ihr Gesicht, das mir ins Auge sprang. Hatten die sporadischen, noch schüchtern tastenden Versuche der mir bekannten Mädchen, ihre erwachende Weiblichkeit durch ein Dekolleté zu betonen, noch etwas unschuldig Frühlingshaftes an sich, so stand all das, was mir da an jenem Abend ins Auge sprang, in voller Blüte. Üppigst, sonnenreif, schwere Frucht. Und zu guter Letzt begehrte diese Frau – denn dieses schillernde Wort drängte sich mir natürlich geradezu auf: eine Frau! eine richtige Frau! – auch noch zu wissen, was zuvor
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