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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Autoren: Ralf Boscher
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entdecken, den Heiligen Gral oder was sonst auch immer. Der Gedanke, dass man nicht erwachsen wird, solange man seine Füße unter den väterlichen Tisch stellt. Während meine Mutter manchmal schreiend und weinend vor Sorge versuchte, mich an ihren schützenden Rocksaum zu binden, trieb er mich mit jeder Ohrfeige zur Selbständigkeit an.
    Er hat es nie gesagt, aber er wird stolz gewesen sein, dass ich kein Stubenhocker war. Ganze Tage verbrachte ich zusammen mit meinem Hund an der frischen Luft. Wir durchstreiften das Dorf und die umliegenden Felder und Wälder, jagten Hasen oder manchmal – wenn wir eines auftreiben konnten – ein Eichhörnchen. Was war das schön, Hasso kraftvoll durch das Unterholz brechen zu sehen! Mit ihm an meiner Seite machte es mir nichts aus, wenn die anderen Kinder des Dorfes keine Zeit hatten. Denn so beliebt ich bei ihnen auch war, so oft teilten mir ihre Eltern an der Haustür mit, dass sie heute nicht mitspielen könnten, weil Hausaufgaben zu machen seien, oder die Tanten zu Besuch kämen oder dies und das. Ich hatte keine Tanten. Und die Hausaufgaben machte ich mit links. Und natürlich war ich so manches Mal traurig, wenn sich eine Tür vor meiner Nase schloss. Mein Hund spürte es und stupste mich mit seiner Schnauze aufmunternd an. Ein Blick seiner großen, braunen, feuchten, zärtlichen Augen genügte, um meinen Kummer verfliegen zu lassen. Ich war keines von diesen wehleidigen Kindern. Mochte ich auch humpeln, na und, sollte ich deswegen etwa gleich den Teufel an die Wand malen? Mein Opa hat schließlich auch nie gejammert. Gelobt sei, was hart macht! das war seine Devise. »Jung!«, pflegte er manchmal zu sagen, wenn ich ihn durch die Straßen schob und er im Takt meines damals noch ausgeprägteren Humpelns in seinem Rollstuhl hin- und herschwankte, »Jung«, sagte er, »solange du dir noch die Eier kratzen kannst, hat dich der Tod noch nicht am Sack! Das Leben geht weiter, wenn nur du weitergehst.«
     
    3.
     
    Alles in allem waren es unbeschwerte Jahre. Einen Riss bekam meine heile Kinderwelt erst, als Vater meinte, meinen Hund umbringen zu müssen.
    Es war ein sonniger Tag, aber ausnahmsweise saß ich in der Küche und las, als plötzlich gewaltiges Geschrei anhob. Zunächst war es meine Mutter, die schrie. Einzelne Worte waren nicht zu verstehen. Dann kam zu ihrer schrillen Stimme der gewaltige Bass meines Vaters hinzu. Schließlich rief auch noch mein Opa mit sich aufgeregt überschlagender Stimme: »Jung, was ist da los, was ist da los, Jung?«, und ich ging hinaus in den Flur, von dem aus die schmale, steile Treppe in den ersten Stock zu den Räumen meiner Eltern und dem Kinderzimmer führte. Da kam auch schon mein Vater mit hochrotem Kopf (es war das erste und einzige Mal, dass ich Tränen in seinen Augen sah) die Treppe hinuntergestürmt: »Du Sauviech!«, schrie er, »Du elendes Sauviech!«, und stürzte an mir vorbei nach draußen. Weil ich so fußlahm war, trat ich vom Flur gerade erst in die Waschküche, von der aus es in den Garten ging, als mein Hund in seinem Zwinger anschlug, und dann begann etwas, was mir noch heute, wenn ich daran denke, die Tränen in die Augen schießen lässt. Ich durchquerte die Waschküche, ohne Unterlass schrie mein Vater, brüllte er draußen »Du Sauviech!«, wieder und immer wieder, und dann brach mein Hund plötzlich in ein entsetzliches Heulen aus. Ein furchtbar gequälter Ton, von aller Wut verlassen, reiner Schmerz, dann auch angstvoll, ja panisch. Noch nie hatte ich etwas Derartiges gehört, dennoch wusste ich sofort, dass so eine Kreatur in Todesangst klingt.
    Als ich ins Freie trat, war das Heulen bereits in ein Winseln übergegangen, was für mich noch schwerer zu ertragen war, denn in diesem Augenblick sah ich, was mein Vater tat. Fassungslos musste ich mit ansehen, wie er die schwere Schüppe am langen Stiel in weit ausholender Bewegung über den Kopf hob und... Was er tat, offensichtlich getan hat und nun wieder tun würde, schockierte mein kindliches Gemüt so sehr, dass ich – jeder anderen Regung unfähig, unfähig Augen und Ohren zu verschließen – dazu verurteilt war, wahrzunehmen, überdeutlich wahrzunehmen, was ich mich im Grunde weigerte, wahrzunehmen, und so schnell alles auch geschah, setzen sich diese wenigen Augenblick dennoch gleichsam aus sich quälend langsam ineinanderschiebenden Bruchstücken zusammen, der Teufel steckt bekanntlich im Detail, ein dreidimensionales Horrorpuzzle mit Toneffekten.
    Ich
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