Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Autoren: Ralf Boscher
Vom Netzwerk:
bildete der oder die sich eigentlich ein? Wobei mir mein Gefühl sagte, dass mein Fan männlichen Geschlechts war. Jedenfalls nannte ich ihn bei mir »Der K.«, und der K. schlug in seinem zweiten Brief einen Ton an, den ich als noch ärgerlicher empfand als beim ersten Mal. Zudem gefiel mir ganz und gar nicht, wie er von meiner Mutter schrieb. Zwar empfand ich auch diesen Brief nicht als bedrohlich (jedenfalls zum Zeitpunkt des ersten Lesens, später dann erschienen mir seine Worte in gänzlich anderem Licht). Ich spürte nur eine leichte Beunruhigung. Schließlich hätte er die Briefe auch direkt an meine Adresse schicken können. Aber er benutzte den Briefkasten meiner Eltern. Warum? Und warum erwähnte er dies eigens?
    Heute weiß ich, dass es bereits zu diesem Zeitpunkt seine (ja, seine, ich hatte recht mit dem Geschlecht) Absicht gewesen war, mir das Gefühl zu geben, er würde meine Eltern beobachteten. Dass er schon mit seinem zweiten Brief die später deutlicher artikulierte Drohung anklingen lassen wollte, dass er jederzeit zu meinen Eltern gehen könnte, an ihrer Haustür klingeln, oder – schlimmer noch – sich in ihr Haus schleichen... Damals aber dachte ich, dass er mir auf diese, wenn auch unangemessene Weise nur die von ihm erwähnte Verbundenheit deutlich machen wollte. Schließlich stammen wir aus der gleichen Gegend... Eines jedenfalls hatte er erreicht. Er hatte meine Aufmerksamkeit. Ich las die Seiten, die K. mir geschickt hatte. Gefiel mir schon der Inhalt des Post-its nicht, so brachten mich seine Aufzeichnungen erst recht gegen ihn auf. Nun, um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss ich sagen, dass mir zunächst, was ich nach der Kapitelüberschrift Die Epiphanie des Fleisches las, sogar gefiel. K. schlug einen lockeren, humorvollen Ton an und ließ seinen Ich-Erzähler in bild- und temporeichem Stil erzählen, der mich an einige Dinge erinnerte, die ich vor einiger Zeit selbst geschrieben hatte.
    Ich lächelte, er hatte seine Hausaufgaben gemacht. Ich bin schon lange, Sie ahnen ja gar nicht wie lange schon, Ihr Fan. Ja, seine ersten Worte an mich schimmerten auf jeder Seite, die ich las, zwischen den Buchstaben durch. Er hatte sogar mit Wuppertal jene Stadt als Handlungsort gewählt, an dem einige meiner früheren Geschichten angesiedelt waren. Doch dann blätterte ich um und las:
     
Sie setzte sich zusammen aus einem Lachen, knallig rot schimmernden Lippen gespreizt übers ganze Gesicht, schon im Moment ihres Hereintretens all die Hauseingänge mitmeinend, in denen wir uns auf unserem Weg noch herumdrücken würden. Setzte sich des Weiteren zusammen aus Beinen, die mich das Göttliche der Geometrie schauen ließen, oh, heiliges Dreieck, Schenkel von gnadenloser Symmetrie.
     
    Jetzt lächelte ich nicht mehr. Gegen einzelne Zitate hätte ich ja nichts einzuwenden gehabt. Aber dieser komplette Absatz (und die Seiten, die folgten) waren eins zu eins aus meiner vor Jahren veröffentlichten Kurzgeschichte »Was spricht die Mitternacht« abgeschrieben. Ich pfefferte die Seiten in die Ecke. Was für ein A... der K.! Klaut einfach meine Geschichte. Ich beruhigte mich aber schnell wieder. Schließlich handelte es sich hier um ein Manuskript, keine Veröffentlichung. Zudem musste ich zugeben, dass K. den Faden meiner Geschichte auf sehr eigenständige Weise weitergesponnen hatte. Kurz: Mir gefiel, was ich las. Aber mir gefiel nicht, dass ich es las.
    Was bezweckte K. damit, mir dies zu zeigen? Wollte er meine Erlaubnis? Irgendetwas sagte mir, dass es ihm nicht darum ging. Was aber steckte dahinter? Das war der Moment, in dem mir K. unheimlich wurde. Er spielte ein Spiel mit mir. Und das gefiel mir überhaupt nicht. Nur zu gerne hätte ich ihm das mit deutlichen Worten sofort ins Gesicht gesagt, ihm wenigstens geschrieben. Aber er hatte dafür gesorgt, dass das unmöglich war. Und er ließ mich bald spüren, dass seine Anonymität nicht einfach nur unhöflich war, sie war eine Drohgebärde.
     
     
Hallo Herr Boscher,
 
gestern habe ich Ihre Mutter im Dorf gesehen. Wenn ich diesen, meinen dritten Brief, bei mir gehabt hätte, dann hätte ich ihr den Umschlag persönlich geben können. Wenn, ja wenn ich dies denn gewollt hätte. Oder Sie. Aber ich denke, wir beide wollen dies nicht. Ich jedenfalls zurzeit nicht. Was ich gerne möchte, ist, dass Sie lesen. Mich. Meine Aufzeichnungen. Meinen Roman, wenn Sie so wollen. Und ich hoffe doch sehr, dass Sie dies auch tun.
     
Grüße
     
 
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher