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Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)

Titel: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
Autoren: Ralf Boscher
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noch niemand zu wissen begehrte. Ein Ding der Unmöglichkeit mein Schulheft jemand anderem zu öffnen, und gerade auch dieser Frau. Denn sicherlich würde sie, was ich schrieb (vor allem auch, weil ich so schrieb, als wäre ich es gewesen, dem all dies geschehen war), lächerlich und kindisch finden, so lächerlich, wie meine Worte es waren, die ich ihr dann entgegenstotterte: »Schreiben? Ja...? Was? Ich...« Aber bevor ich mich vollends im Irrgarten der Peinlichkeiten verlor, nahm sie das Heft in die Hand und blätterte sich, da ich sie – zusammengesunken auf meinem Stuhl – ohne Widerspruch gewähren ließ, durch die Protokolle meiner Forschungsreisen in das Land von tausendundeiner Möglichkeit, wie sich Jungen und Mädchen einander nähern können.
    Zu meiner Verwunderung lachte sie nicht über das, was sie las. Es gefiel ihr offensichtlich sogar, denn sie setzte sich zu mir, neben mich, ganz nah neben mich, und als sie sagte: »Das ist interessant, womit du dich beschäftigst, und du schreibst sehr schön«, wuchs ich auf der Bank zu voller Größe heran. Mutter wäre stolz gewesen, wenn sie mich so aufrecht und gerade hätte sitzen sehen können, schimpfte sie doch immer: »Häng’ nicht wie ein alter Sack herum!« Und dann sagte diese Frau mir in einer Selbstverständlichkeit, als wären wir zwei alte Bekannte, die mich sehr angenehm berührte: »Holst du uns zwei Bier.«
    Ich erhob mich und ging wie auf Wolken zur Theke, denn etwas Ähnliches war mir in meinem Leben noch nicht passiert. Ließ mich auch nicht davon beirren, dass ich noch niemals zuvor in öffentlicher Runde ein Bier bestellt hatte, geschweige denn bezahlt oder gar getrunken. Ich hielt dieses Gefühl der Selbstverständlichkeit in meinem Herzen fest und ließ mich nicht dadurch aus der Fassung bringen, dass ich plötzlich vor der Wahl stand, welches Bier sie wohl gemeint haben könnte. Doch an diesem Tag waren mir die Dinge hold, denn wie ich feststellte, gab es nur zwei Sorten Bier zur Auswahl, so dass ich jeweils ein Glas bestellte. Ich war so stolz auf mich, als ich – möglichst aufrecht und flüssig gehend – mit den beiden Gläsern an den Tisch zurückkehrte und sie immer noch in meinem Heft lesen sah. Plötzlich stand ich nicht mehr am Rand, sondern befand mich mittendrin im Geschehen. Und so setzte ich mich neben sie, und wesentlich selbstbewusster als noch vor einigen Minuten stellte ich die beiden Gläser vor uns ab: »Dein Bier«, sagte ich, nicht sonderlich originell, aber zutreffend. Sie nahm das Dunkle (wie sie mich später aufklärte, das Alt), »Man nennt mich Eva!«, stellte sie sich mir vor, und dann sagte sie zu meiner Bestürzung: »Auf das glückliche Ich deiner Geschichten«, stieß mit mir an und leerte ihr Glas in einem Zug, während ich – diesen Satz unangenehm klingelnd im Ohr – den ersten Schluck Bier in meinem Leben trank.
    Ich versuchte, zu lächeln und mir auch nicht anmerken zu lassen, wie schwer mir das fiel. Es gelang mir nicht, meine Empfindungen zu verbergen, denn sie lachte und sagte: »Wusste ich’s doch, dass du noch Jungfrau bist« Ein sprechendes Lachen, das mir die Bestürzung noch tiefer in meine Gesichtszüge grub, so sehr ich auch bemüht war, mich hinter dem Glas zu verstecken (aber diese niederrheinischen 0,2 L Stangen bieten kaum Schutz). Jäh fühlte ich mich aus der Mitte des Geschehens hinaus katapultiert. Ich war kurz davor, über den Rand der Welt zu stürzen. Doch dann rückte sie auf der Bank näher an mich heran und sagte, meine Hand in die ihre nehmend: »Ich meine, das ist dein erstes Bier«.
    Was ich in diesem Moment empfand, hatte ich noch nicht mal gefühlt, da mich der treue, feuchtbraune Blick meines Hundes noch traf, selbst dann nicht, wenn er – seinen Kopf auf meinen Knien – zu mir aufschaute. Ich blickte in ihre Augen, und dort in ihrem beruhigend offenherzigen Blick fand ich mich wieder. Ich erkannte die Bedeutung dieses Augenblicks für mein Leben, und tat, was schon Generationen von Jünglingen zu eben diesem Zeitpunkt, an eben jener Stelle, da die erste Liebe in ihr Leben getreten war, getan haben, ich fragte: »Willst du noch ‘was trinken?«
    Natürlich war es nicht das Bier gewesen, was mir zu schaffen gemacht hatte, das schmeckte anfangs einfach nur nicht, vielmehr war es der Ausdruck Geschichten , den sie für meine Aufzeichnungen benutzt hatte. Oder genauer gesagt, nicht der Ausdruck selbst, sondern der Gedanke, den ich hinter ihm vermutete : Das sind ja
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