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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts
Autoren: R Kuhnert
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sichtlich stolz darauf, dass die rotweinarmen Zeiten in dieser Gegend vorbei waren. Nachdem auch Hildegard, Gisberts Frau, von mir mit einer herzlichen Umarmung begrüßt worden war und sich mit einer Entschuldigung sofort wieder in die Küche zurückgezogen hatte, füllte Gisbert unsere Gläser mit Prosecco, prostete mir zu und sagte erwartungsvoll: »Na, dann erzähl mal! Ist ja inzwischen ´ne Menge Wasser die Oder hinunter geflossen.«
III.
    I ch bin Elias Effert – Absolvent des Leipziger Literaturinstituts und einst Erfolg versprechender Nachwuchsautor für Bühne, Funk und Fernsehen in der verschwundenen Republik. Ich hatte damals schon einige Zeit nach einem Haus auf dem Lande gesucht, einem Ort, an dem ich in Ruhe würde schreiben können, wie ich mir eingeredet hatte. Die Bezeichnung Nachwuchsautor war etwas irreführend, und ich sprach sie immer mit einem etwas ironischen Unterton aus, denn ich hatte die Dreißig schon einige Jahre überschritten.
    Aber da ich erst am Anfang einer – wie mir von der Institutsleitung prophezeit worden war – hoffnungsvollen Karriere stand, war diese begriffliche Einordnung vielleicht doch berechtigt. Und nun suchte ich nach einem ländlichen Zweitwohnsitz. Seit Anfang der Siebziger Jahre war es unter Schauspielern, Schriftstellern und Malern dieser Republik mit den Attributen deutsch und demokratisch in Mode gekommen, ein bis zwei Autostunden von Berlin, genauer dem Teil Berlins, der auch Hauptstadt der DDR oder Ost-Berlin genannt wurde, einen zweiten Wohnsitz in einem Dorf der Mark Brandenburg oder in Mecklenburg zu besitzen. Einige nannten das politisch gewichtig: Innere Emigration, andere mehr praktisch, aber auch philosophisch: Zurück zur Natur. Ich empfand zu der Zeit weder die eine noch die andere Erklärung passend für mich. Aber ich wusste auch, dass so eine Datscha auf dem Lande so etwas wie ein Statussymbol war, ein sichtbarer Beweis, dass man dazu gehörte, was für mich schon immer eine wichtige Rolle gespielt hatte.
    Von einem Freund hatte ich erfahren, dass es unweit der polnischen Grenze einen Bauernhof gäbe, etwas außerhalb eines kleinen Dorfes, der zum Verkauf stehe. Wenn ich Glück hätte, so mein Freund, würde ich den Namen des Ortes vielleicht sogar auf der Karte finden, es sei eben am Arsch der Welt .
    Also war ich an einem sonnigen Apriltag in Richtung polnischer Grenze losgefahren, nachdem ich das Dorf tatsächlich als winzigen Eintrag auf der Karte der Grenzregion gefunden hatte. Allerdings musste ich auf Grund einer Ungenauigkeit der Karte einen Umweg in Kauf nehmen, einen Umweg, der mich über ein anderes kleines Straßendorf mit Namen Hohenfeld führte. Der Zustand der Straße mit dem ungleichmäßigen Kopfsteinpflaster ließ nur eine Fahrt im Schritttempo zu, so dass ich am Ende der Dorfstraße ein beeindruckendes Fachwerkhaus entdeckte, das sich in seiner Größe und in seinem Baustil von allen anderen Häusern bemerkenswert unterschied. Und es schien leer zu stehen. Ich hielt und sah es mir genauer an.
    Jetzt begriff ich, warum es wahrscheinlich nicht mehr bewohnt war, denn der bauliche Zustand war stark vom Verfall gezeichnet. Dennoch – so empfand ich – hatte es mit dem ziegelgedeckten großen Außenschornstein und den fast schwarzen mächtigen Balken zwischen dem bröckelnden Mauerwerk, so etwas wie Charakter. Und es schien mir, als würde es auf jemanden warten, der es vor dem langsamen Sterben bewahrte. Erst ein paar Jahre später sollte ich erfahren, dass dem Haus damals ein gewaltsamer Tod gedroht hatte.
    »Du bist gerade rechtzeitig gekommen, Elias. Ein paar Wochen später hätten sie es plattgemacht, war alles schon geplant gewesen.
    Hat ja keiner mehr gebraucht. Und Abgang ist allerwärts. Aber schade wär´s schon gewesen um das schöne Haus«, hatte mir Gottfried der Maurer lächelnd gestanden. Als ich langsam durch das Dorf gefahren war, hatte ich schräg gegenüber der kleinen Dorfkirche den Eingang zu einer Kneipe gesehen, jedenfalls vermutete ich, dass es die Kneipe sein müsse, denn aus dem namenlosen Eingang drangen Lärm und Gelächter. Also parkte ich den Wagen gegenüber vor der kleinen Feldsteinkirche und betrat den verrauchten Schankraum, der trotz der Mittagszeit im Halbdunkel lag. Sofort verstummte das Gerede und alle starrten mich an. Das heißt, die sechs oder sieben, die mit bereits geröteten Gesichtern vor ihren Biergläsern saßen. Ich wandte mich mit gedämpfter Stimme an den jungen Wirt hinter der
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