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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt
Autoren: Dieter Noll
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wurde Holt entlassen. Er rechnete: Zehn Tage Erholungsurlaub, am achtzehnten beginnen die großenFerien, da ist das Schuljahr für mich so gut wie zu Ende. Überdies häuften sich die Gerüchte vom baldigen Flak-Einsatz. Vielleicht hab ich’s endgültig geschafft, dachte er, bloß Schluß mit der Schule!
    Die freien Tage verbrachte er meist im Flußbad, aber er durchstreifte auch die Umgebung der Stadt. Eines Morgens ließ er sich Brote einpacken, schnitt sich einen derben Stock und wanderte in die Berge. Die letzten Dörfer blieben hinter ihm zurück. Er tauchte in die Laubwälder. Am Nachmittag stand er mehrere Wegstunden von der Stadt entfernt auf einer hochaufragenden Bergkuppe und schaute über das Land. In einer Schleife des Flusses zog sich ein Hochplateau nach Nordwesten hin, von Erosionstälern zerklüftet; von Felsschluchten, in denen Bäche talwärts zum Fluß stürzten. Durch das Hochplateau waren vereinzelte jüngere Kuppen vulkanischen Ursprungs gebrochen und stiegen auf mehrere hundert Meter an. Er blickte über den dunkelgrünen Teppich der Laub- und Mischwälder hinweg. Der Fluß glänzte im Sonnenlicht, und fern stieg das Gebirge wellig, in grünen Hügeln, zur Ebene ab. Kein Dorf ringsum, kein Weg, kein Haus! – Hier ist es herrlich, dachte er. Ohne Kompaß find ich nicht heim. Hier müßte man leben wie Karl Moor mit seiner Bande!
    Der Berg, den er bestiegen hatte, war wie von einer riesigen Axt abgehackt. Am Fuß der Kuppe fand er, auf dem Abstieg, die Höhle. Ein Steinbruch fiel nach Süden tief in eine Schlucht ab. Im Norden hatte die Erosion das Gestein freigelegt. Holt sah ein Tal mit bewaldetem Hang, unwegsam und felsig. Am Steinbruch im Süden, unter der Gipfelkuppe, entwich ein Tier, ein Fuchs vielleicht, in die Büsche, und als er ihm nachspürte und das Buschwerk teilte, fand er einen Felsspalt hinter dichtem Brombeergestrüpp. Er raffte eine Handvoll Reisig auf und kroch unter niedergebrochenen Gesteinsbrocken hindurch, in den Felsen hinein. Es mußte ein uralter Bergwerksstollen sein. Schon nach wenigen Metern konnte er aufrecht gehen, und dann erweiterte sich der Gang. Von den Wänden rieselte Wasser. Er brannte das Reisigbund an und sah den Rauch in die Felsen hineinziehen. Dann stand er in einer großen, etwa drei Meter hohen und trockenenHöhle. Durch einen breiten, schachtartigen Felsspalt fiel helles Tageslicht.
    Entdeckerfreude packte Holt. Nichts deutete darauf hin, daß seit langer Zeit ein Mensch hier eingedrungen war. Der Boden war felsig, und die Wände gefügt aus weichem Gestein. Der Schacht, der nach oben ins Freie führte, mußte in den Steinbruch der Gipfelkuppe münden.
    Als er die Höhle endlich verließ, sah er draußen den Tag zur Neige gehen, und er beschloß, hier zu übernachten. Ringsum reiften Walderdbeeren, eine üppige Abendmahlzeit. Die Gegend war wildreich. Auf dem Felsabsatz vor dem Höhleneingang wuchs dichtes und hohes Gras. Er bereitete sich ein Lager aus Moospolstern und Laub. Dann stieg er noch einmal zum Gipfel empor. Es wurde Nacht. Tief zu seinen Füßen glänzte das phosphoreszierende Band des Flusses.
    Vor der Höhle entzündete er ein kleines Feuer, ließ einen trockenen Wurzelkloben glühen und streckte sich auf seinem Lager aus. Er starrte in die Glut. Fledermäuse umflatterten ihn. Über ihm stand das Siebengestirn. Er träumte von einem abenteuerlichen Leben, hier in den Bergen, ohne Schule, ohne Maaß. Er träumte vom Sänger und der Prinzessin, von einer verborgenen Felsenhöhle, wo unter Donner und Blitz der erste Kuß das Paar auf ewig zusammenschmelzte. Am Morgen wanderte er noch vor Sonnenaufgang in die Stadt zurück.
     
    Die Schwestern Dengelmann setzten Holt, als er am Vormittag daheim anlangte, ein Frühstück vor, das ihn mißtrauisch stimmte: Eier, Schinkenbrote, Mohnkuchen. Und das, obwohl sie angeblich nicht wissen, wie sie mich ernähren sollen, dachte er. Schieben die etwa heimlich? Die wollen doch was von mir! Er hatte recht. Unter vielen Versprechungen kam es ans Licht: Holt sollte ab September einen zehnjährigen Jungen zu sich ins Zimmer nehmen, da er ja doch ohnehin bald einrücke … Der Vater, ein Herr Wenzel, habe eine Gastwirtschaft, Hühner und Schweine …
    »Einen zehnjährigen Rotzbengel?« sagte Holt zu Eulalia, und Veronika schüttelte mißbilligend den Kopf, daß die Lockenwickelrasselten. »Können Sie nicht warten, bis ich bei der Flak bin?« Herr Wenzel schlachte jedes Jahr drei Schweine, erklärte
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