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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt
Autoren: Dieter Noll
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nein, Eulalia war wohl der Name, ein wohlklingender Name, der aus dem Griechischen stammt …« Er schaute bewegungslos durch die Gläser der Hornbrille auf die Schüler, die atemlos an seinem Munde hingen, und vollendete: »… wieder einmal Nasenbluten?«
    Holt blinzelte. Er sah auf einmal alle Gestalten und Gegenstände in verschwommenen Umrissen; in seinen Ohren hallte als vielfaches Echo das letzte Wort: Nasenbluten … Nasenbluten … Wohltuende Müdigkeit überkam ihn, Gleichgültigkeit. Man müßte ein Segelboot haben, dachte er, jetzt, wo Gilbert mein Freund ist, und nun ist’s geschafft: Wolzow gerettet, und er wird mir’s danken!
    »Reden Sie!«
    Ach so. Ich muß ja noch den Maaß veralbern! dachte Holt. Er wird ungeduldig? Ich will dir schon antworten! Deine Schachtelsätze imponieren mir nicht, das kann ich schon lange! »Mitnichten«, sagte er. Sein Gesicht war rot, nur von den Nasenflügeln über die Mundwinkel bis zum Kinn war ein blasses Dreieck ausgespart. Eine Bewegung lief durch die Klasse, und Maaß, bei dem altertümlichen Wort »mitnichten«, furchte die Stirn. »Mitnichten hat die Nase meiner Wirtin, deren Namen Eulalia … Eulalia, wie Sie die Güte, sich zu erinnern, hatten, lautet, geblutet,
aber
…«, das Aber schrie er hinaus, denn Maaß hatte den Mund schon geöffnet, um Holt zu unterbrechen, »aber mich … hatte morgens die Polizei … da ein Fahrrad, das ein Mann, der eine graue Jacke … die vielfach geflickt war, trug … fuhr … mit einem Auto, das auf der Straße … die über die Geleise, die vom Bahnhof, der unmittelbar bei meiner Wohnung … liegt … kommen … führt … entlangkam … zusammenstieß … gebeten …«
    Er hielt inne. Auch das war geschafft! Wie durch Nebel sah er die Augen seiner Mitschüler auf sich gerichtet, und Maaß lehnte nach vorn über dem Pult, und sein Unterkiefer war heruntergeklappt …
    »… meine Beobachtungen als Zeuge zu Protokoll zu geben«, vollendete Holt. Dann fiel er seitwärts zu Boden.
    Peter Wiese lief zum Hausmeister, Rutscher stotterte: »Er war schon morgens auf dem W-w-weg so komisch!« Maaß beugte sich über Holt und sagte: »Das ist … Scharlach …!« Wolzow schob ihn beiseite. Bald fuhr der Krankenwagen vor.
     
    2
     
    Der Juni ging ins Land. Holt lag in der Infektionsabteilung des städtischen Krankenhauses. Wolzow kletterte jeden Tag über die Mauer und schlich durch den Garten unter das Fenster. Sein Pfiff wehte ins Krankenzimmer.
    Die ersten Tage lag Holt fast ohne Bewußtsein im Fieber, danngenas er rasch und überwand Mattigkeit und Schwäche. Als er wieder bei Kräften war, empfand er den langen Aufenthalt im Krankenhaus wie eine Freiheitsstrafe. Seine Mutter, von den Schwestern Dengelmann herbeigerufen, hatte unterdessen bei allen Ärzten vorgesprochen, hatte Trinkgelder an Schwestern und Pfleger verteilt und war wieder abgereist, ohne ihren Sohn gesehen zu haben, und er war nicht einmal böse darüber.
    Aber Wolzows Besuche machten ihn froh. Wolzow brachte Nachricht von der Außenwelt. Die Schule war nach Holts Erkrankung für zwei Wochen geschlossen worden, was Holt bei den Schülern aller Klassen populär gemacht hatte wie die Revolte gegen Maaß. Er war der Held des Tages. Wolzow neidete es ihm nicht länger und war bereit, seinen Ruhm zu teilen. Als das Fieber gewichen war, sprang Holt, wenn im Garten der Pfiff ertönte, ans Fenster. »Wie geht’s?« fragte Wolzow.
    »Eigentlich bin ich gesund … Ich soll mich schälen und muß immerfort ganz heiß baden.« – »Hau ran!« sagte Wolzow … Gestern hatte der Unterricht wieder begonnen, da kein weiterer Krankheitsfall vorgekommen war. »Zum Kotzen langweilig«, meinte Wolzow. »Wenn du rauskommst, dann ist irgendwas fällig …« – »Ich überleg schon … was Abenteuerliches!« – »Abenteuer ist Quatsch«, erklärte Wolzow bestimmt. »Karl May und so was, das ist alles Schwindel. Bloß der Krieg ist richtig.« – »Weißt du was Neues vom Flak-Einsatz?« – »Noch dieses Jahr, vielleicht schon im Herbst.«
    Diese Perspektive nahm Holt vollends die Lust am Schulunterricht. Er überlegte: Wenn ich Glück hab, ist die Schule für mich vorbei … »Ich bekomm zwei Wochen Schonung«, sagte er, »dann sind große Ferien … Bloß gut! Wenn ich an Maaß denke …«
    »Maaß ist ein Satan«, sagte Wolzow. Er stand breitbeinig in einem Blumenbeet, die Hände in den Taschen vergraben, und unter seinen Stiefeln knickten Rosen und Nelken … »Weißt du, was
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