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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt
Autoren: Dieter Noll
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Veronika. Holt warf die Tür hinter sich zu und ging. Im Grunde interessierte ihn das nicht; bis zum 1. September rechnete er fest mit der Einberufung. Er beschloß, baden zu geben. Das heiße Wetter hielt an.
    Er schlenderte über den Marktplatz. Vor dem Café blieb er stehen. Er hatte Lust, Billard zu spielen; Billard war große Mode. Aber allein machte es wenig Spaß. Als er weiterging, sah er einen flammend roten Rock, von weitem, auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes.
    Die Marie Krüger! Sein Herz begann zu klopfen. Wenn ich ganz langsam durch die Lauben am Rathaus geh, überlegte er, treff ich genau an der Talgasse mit ihr zusammen …
    Sie war nur noch wenige Meter von ihm entfernt, und beide bogen gleichzeitig in die abschüssige Straße ein, die hinab zum Fluß führte.
    »Guten Tag«, sagte er. Sie nickte überrascht und ergriff zögernd seine Hand. »Na?« sagte er, und noch einmal: »Na? … Gehn Sie auch baden?« Wie rede ich sie an, Herrgott?
    Er merkte nicht, daß seine Befangenheit sie belustigte; er sah nur, daß sie lächelte, und ihr Lächeln tilgte in ihm alle Furcht. Er ging neben ihr her. Sie fragte: »Sie schwänzen wohl Schule?«
    »Ich hatte Scharlach und hab Schonung.« Er bedauerte, daß ihn seine Klassenkameraden jetzt nicht sehen konnten, an der Seite dieses Mädchens. Ihre Eltern lebten nicht mehr, so hieß es. Sie bewohnte irgendwo ein Zimmer. Sie war siebzehn Jahre alt, schlank, zigeunerhaft, hübsch und schlampig. Die großen, dunklen Augen standen ein wenig schräg in dem schmalen Gesicht. Von der rechten Augenbraue zog sich eine halbkreisförmige Narbe über die gebräunte Stirn. Das lockige braune Haar, das immer unordentlich war, raffte sie mit leuchtend bunten Bändern zusammen. Überhaupt bevorzugte sie eine bunte, absonderliche Kleidung, flammend rote Röcke, knallgelbe Mieder, grüne Halstücher. Die Mädchen aus der Oberschule verachteten sie, die Jungen schauten ihr heimlich nach. Sie stand außerhalb der Gesellschaft,und die Gesellschaft der Kleinbürger hatte feste Schranken. Es gab keine Industrie am Ort. Die Oberschüler sahen seit je auf die Mittelschüler herab, und diese wieder dünkten sich besser als die Lehrlinge und Hausmädchen: Der gemeinsame strenge Dienst in HJ und BdM hatte daran nichts geändert. Es gehörte viel Selbstbewußtsein und auch Mut dazu, am hellichten Tag mit Marie Krüger durch die Straßen zu gehen. Auch Holt fand sie etwas anrüchig, denn er war in strengem Kastengeist erzogen, aber die Anziehungskraft, die von ihr ausging, wirkte auf ihn so stark, daß sie alle Bedenken tilgte.
    »Sie sind noch nicht lange hier?« fragte sie freundlich. »Die anderen Oberschüler sind so affig und eingebildet.«
    Die haben bloß Schiß, dich anzusprechen, dachte Holt. Er entgegnete: »Am vornehmsten tun die vom Bann, nicht wahr?« Sie überquerten den Mühlgraben und betraten die Anlagen am Fluß.
    Sie sah ihn von der Seite an. »Sind Sie nicht HJ-Führer?«
    »Ich? Nein. Ich war Führer beim Jungvolk. Aber ich fall zu sehr auf. Jetzt bin ich Individualist. Die HJ macht mir nicht mehr viel Spaß. Früher, ja. Aber jetzt bin ich viel lieber allein. Nach den Ferien geht’s sowieso zur Flak.«
    Sie antwortete nicht.
    Ein kurzer, toter Flußarm mit dem irreführenden Namen Mühlgraben bildete mit dem Fluß eine Halbinsel, die man Parkinsel nannte; sie zog sich oberhalb der Stadt einige Kilometer weit am rechten Ufer des Flusses hin. Inmitten von Parkanlagen hatte hier der Ruderklub »Wiking« sein Vereinshaus, nebenan lagen die Tennisplätze, die Eisbahn und die Badeanstalt. Weiter flußaufwärts endete der Park, und die Halbinsel ging in den »Schwarzbrunn« über, eine mehrere Quadratkilometer große, unwegsame und wilde Sumpflandschaft, ein Labyrinth verlandender toter oder mit dem Fluß verbundener Flußarme und schilfgesäumter Tümpel, eine morastige Niederung, die vom festen Ufer her nur im Sommer bei niedrigem Wasserstand zugängig war. Die Badeanstalt war ein großes Gelände mit einer Liegewiese, deren Böschung zum Wasser abfiel, wo das Floß verankert war, das auf leeren Öltanks schwamm, mit Bassins für Nichtschwimmer undSprungturm. Am Ufer neben der Liegewiese zogen sich mehrere Reihen hölzerner Umkleidekabinen hin, die wegen der jährlichen Hochwasser wie Pfahlbauten auf hohen Balkenfundamenten ruhten.
    Holt, der von seiner Mutter ein reichliches Taschengeld bezog, hatte eine der teuren Jahreskabinen gemietet. Ungeduldig kleidete er
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