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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt
Autoren: Dieter Noll
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und Asche. Die Fenster, seit langem nicht mehr geputzt, ließen trübes Licht in den großen Raum. Eine Treppe mit geschnitztem Geländer führte in das Obergeschoß. Hier bewohnte Frau Wolzow mit ihrem Sohn ein paar Zimmer. Das Erdgeschoß blieb leer und verfiel.
    Wolzows Zimmer glich einer Rumpelkammer. An den Wänden hingen Armbrüste, exotische Waffen, Bogen und gefiederte Pfeile, indianische Streitäxte, Blasrohre und ein Paar altertümliche Duellpistolen. Vor dem Fenster stand ein großer Eichentisch, von Retorten und Flaschen, Gläsern und verrosteten Büchsen bedeckt. Ein Totenschädel lag herum, aus dem Beinhaus des Kirchhofs gestohlen, ein ramponiertes, ausgestopftes Rebhuhn, das als Zielscheibe diente, Papiere und Bücher. Auf einem Haufen Unrat in der Ecke lagen obenauf zwei Schläger, ein krummer Türkensäbel, ein Tellereisen und ein verschmutzter Schaftstiefel. Eine Fechtmaske und allerhand Kleidungsstücke waren auf dem Boden verstreut, und das eiserne Feldbett bedeckte ein zottiges braunes Bärenfell.
    Holt saß auf dem Fell, die Füße auf einen herangeschobenen Stuhl gelegt. Er fühlte sich wohl hier. Wolzow experimentierte an dem großen Eichentisch; unter einer Retorte brannte eine Spiritusflamme. Draußen sank die Dämmerung. »Wenn das klappt mit der Salpetersäure, dann mach ich Dynamit.« – »Was willst du mit Dynamit?« – »Bomben bauen, richtige Bomben, nicht solche Knalldinger aus Schwarzpulver!«
    Was will er mit Bomben? dachte Holt … Dem Maaß eine unters Katheder legen? Er lachte. Aus der Retorte stiegen beizende Dämpfe. Wolzow öffnete das Fenster. Das Geläut der Kirchenglocken erfüllte den Raum … Wolzow baut Bomben, und die Glocken läuten dazu!
    »Stell dir vor«, sagte Wolzow, »du legst eine Dynamitbombe an die Penne, Mensch, da bleibt kein Stein auf dem anderen!« Es war eine Vorstellung, die ihn begeisterte. »Dem Maaß eine Bombe an den Arsch binden …«
    Holt rauchte und sah sich die Bücher an, die herumlagen, kriegswissenschaftliche und -geschichtliche Werke, Verdy du Vernois: »Studien über Truppenführung«, Rüstow: »Geschichte der Infanterie«, Prinz Kraft zu Hohenlohe: »Militärische Briefe über Artillerie«, und nun sah Holt auch das dicke Taschenbuch liegen. Er nahm den flexiblen Lederband zur Hand und studierte den Titel: »Lutz von Wulfingen, Generalleutnant und Lehrer an der königlich preußischen Kriegsakademie, ›Taschenbuch der Kriegsgeschichte in Stichworten mit strategischen und taktischen Anmerkungen und einem chronologischen Verzeichnis aller Schlachten, Gefechte und Scharmützel der Weltgeschichte samt der daran beteiligten Truppen und ihrer Führer‹, mit 212 Skizzen versehen und völlig neu bearbeitet von Otto Graf Ottern zu Ottbach, Major a. D., zweite Auflage 1911.« Holt durchblätterte die dünnen Seiten, »Taginae« war rot unterstrichen, »Stümperei Totilas, Narses ganz groß«, stand am Rand; und hier bei »Miltiades bei Marathon« las Holt von Wolzows Hand: »Eine Cannae vor Cannae?«
    Er legte das Buch aus der Hand. Was er jetzt unter dem Wust hervorzog, war Goethes »Faust«. »Liest du den ›Faust‹?« fragte er erstaunt. Wolzow antwortete: »Ich hab gehört, da soll ein Soldat mitspielen, ich hab mir das angesehn: militärisch ist es uninteressant.« Er löschte den Spiritusbrenner und schob die Retorte zur Seite. Es war dunkel im Zimmer, er schaltete Licht ein. Holt hatte das Buch aufgeschlagen und las: »Zueignung« … Er überflog die Verse und las noch einmal: »… was ich besitze, seh ich wie im Weiten, und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten …« Das istwunderbar … Er fragte unvermittelt: »Denkst du eigentlich gern an die Zeit, als du ein Kind warst?« – »Wozu?« sagte Wolzow. »Nein. Du? Warum lebst du eigentlich nicht bei deinen Eltern?«
    »Meine Eltern sind geschieden«, antwortete Holt unlustig. »Mein Vater ist weggegangen, und bei meiner Mutter, na, ich hab’s nicht ausgehalten, ich weiß auch nicht, warum. Sie ist so … steif, gar nicht wie eine Mutter. Großzügig war sie ja, in allem, wir hatten da eine Sportschule, sie hat mir einen Trainer für Jiu-Jitsu bezahlt und alles mögliche … Aber sonst … Und meine Tante aus Hamburg ist noch schlimmer, wie ein Eisklumpen, die hat nun dauernd bei uns gesessen, mir hat diese Weiberwirtschaft einfach nicht gepaßt. Dauernd gab’s Krach.« – »Und warum bist du nicht bei deinem Vater?« – »Er hat kein Sorgerecht, und Mutter läßt mich von
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