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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt
Autoren: Dieter Noll
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mühsam, mit schwerer Zunge, er hatte kaum noch die Kraft aufzustehen. »Die Fische sind weg? Vielleicht … hat der Totenkopf sie gefressen!« Das Gejohl der Klasse erreichte kaum sein Ohr. »Elender Bube … Ich! Los, Vetter, wo sin die schönen roten Fische?«
    »Rote Fische?« sagte Vetter. »Warn das denn Fische? Ich dachte immer, das sind Tomaten!«
    »Herr Lehrer«, rief Zemtzki, und er stocherte mit dem Zeigefinger in der Luft herum, »ich hab die roten Fische gesehen! Gestern warn sie noch da! Heißa! Aber sechs, nein, so viele warn das nicht!«
    »Wie viele … kh-kh … haben Sie gesehn?« fragte Zickel mit neuer Hoffnung.
    »Na, so null bis eins«, antwortete Zemtzki, und er sah dem Lehrer mit großen, blauen Augen unschuldsvoll ins Gesicht.
    Die Untersuchung verlief ergebnislos. Studienrat Maaß setztesie fort. Holt nahm nicht teil an dem Durcheinander, das in der Pause herrschte. Er saß zusammengesunken auf seinem Platz im Klassenzimmer, der Schweiß brach auf seiner Stirn hervor, und der Kopf schmerzte … »Du hast ein ganz rotes Gesicht«, sagte Gomulka teilnahmsvoll, »wie gesprenkelt, bist du krank?« Holt schüttelte den Kopf.
    Die Katze brachte alles ans Licht; sie hatte in der Wohnung des Hausmeisters die unverdauten Fische wieder ausgebrochen. Ein Lehrer hatte den Ruf gehört: »Du sollst dem Wolzow die Katze bringen …« Wolzow war überführt. Er stand neben seiner Bank und log beharrlich, er wisse von nichts, man möge ihn in Ruhe lassen, er sei es nicht gewesen.
    Maaß hockte dick und massig hinter dem Katheder. Das Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel, spiegelte sich auf seiner Glatze, die von schlohweißem Haar umrahmt war. Das runde und feiste Gesicht grinste triumphierend, die Augen hinter der hellen Hornbrille waren kalt und mitleidlos auf Wolzow gerichtet. »Sie sind erledigt, Wolzow«, sagte er, mit einem begeisterten Zittern in der Stimme, »auch ohne Geständnis erledigt.« Er schielte über die Ränder der Hornbrille hinweg auf sein Opfer. Es war sein Steckenpferd, verworrene Schachtelsätze zu konstruieren, die er mit strenger Logik zu Ende sprach; er hielt die Klasse mit diesen Sätzen in Spannung, er vollendete auch den schwierigsten Satz und heimste das ehrfürchtige Aufatmen der Schüler als Beifall ein. »Unsere Anstalt«, begann er, »die einmal vom strengen Geist des Lerneifers und Gehorsams regiert, durch Sie jedoch wie durch einen Bazillus vergiftet wurde, mit Anarchie und Disziplinlosigkeit, was kein zweites Mal Ihr Onkel wird sanktionieren können …«, er legte eine Pause ein, um die Spannung zu steigern, und dann vollendete er: »… wird nun endlich und endgültig von Ihnen befreit werden. Ich beglückwünsche mich zu diesem Erfolg.« Alle Augen waren auf Wolzow gerichtet. Wolzow sah bewegungslos vor sich hin; nur Holt, zurückgelehnt und zusammengesunken, blickte auf Maaß. Er dachte: Wolzow wird
nicht
relegiert werden! Wolzow ist ab heute mein Freund.
    »Nehmen Sie Ihre Tasche, Wolzow, und verlassen Sie auf derStelle das Schulhaus. Sie sind relegiert. Der Brief des Direktors folgt Ihnen auf dem Fuß.«
    »Moment«, sagte Holt.
    Er erhob sich. Er fühlte Wolzows Blick auf sich gerichtet. Er lehnte sich rücklings gegen die Bank. »Der Brief des Direktors«, sagte er, und seine Stimme krächzte, »folgt Wolzow nicht auf dem Fuß. Wolzow ist es nicht gewesen … Man hat sich … verhört … Wolzow soll
mir
die Katze bringen, wurde gerufen …« Er mußte seine Worte sehr langsam formen, denn die geschwollene Zunge versagte den Dienst. »
Ich
bin es gewesen«, sagte er. Peter Wiese, das Gesicht auf Holt gerichtet, erstarrte in Staunen und Bewunderung … »
Ich
bin es gewesen … Wiese wird es bezeugen …« Wiese erhob sich, wie unter einem Zwang, und zum erstenmal in seinem Leben belog er einen Lehrer, als er mit tief auf die Brust gesunkenem Kopfe sagte: »Ja … Holt war es … ich bezeuge es.«
    Holt hörte nur noch das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Vier Stunden Karzer? Egal! Blauer Brief an meine Mutter? Sie wird bloß lachen … Und jetzt sieht er ins Klassenbuch … Die Eintragungen? Wenn er wüßte, wie egal mir das alles ist!
    »Sieh mal an«, sagte Maaß, wütend vor Enttäuschung. »Zwanzig Minuten zu spät gekommen ist das elende Früchtchen außerdem …« Er wurde ironisch, das war der Ausdruck höchsten und gefährlichsten Zornes. »Hatte Ihre Wirtin, ich glaube mich zu erinnern, daß sie Dengelmann heißt, Eusebia Dengelmann, doch halt,
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