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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt
Autoren: Dieter Noll
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vorn geneigt. »Wenn du wirklich soviel Mut hast, dann komm heute um vier zum Rabenfelsen, damit ich dir endlich …!« – »Du bist wohl am Ende?« höhnte Holt. »Was Beßres als Prügel fällt dir wohl nicht ein?« – »Jetzt dreh ich ein Ding«, schrie Wolzow, »von dem die ganze Stadt sprechen soll!« Zemtzki steckte den Kopf zur Tür herein. »Gilbert … nicht! Nein! Du … fliegst, wenn sie dich erwischen!« – »Seht den großen Wolzow!« spottete Holt. »Er will sich prügeln, aber er hat Schiß vor den Paukern!«
    Wolzow starrte auf das Aquarium, wo der verunstaltete Totenschädel durch die Ranken der Wasserpest grinste und die roten Leiber sechs tropischer Zierfische im grünen Wasser hin und her glitten. »Sepp«, befahl Wolzow, »schaff mir das Katzenvieh vom Hausmeister her!«
    »Gilbert«, sagte Gomulka, »laß das … Maaß wirft dich raus!« Aber jemand rief schon Zemtzki auf dem Korridor zu: »Du sollst dem Wolzow die Katze bringen!«
    Zemtzki brachte die Katze, ein getigertes, wildes Biest, das argwöhnisch äugte, nervös durch die lärmenden Stimmen der Jungen.Wolzow nahm sie mit einem Griff seiner Rechten am Fell; sie legte sich flach gegen seine Brust, die Schwanzspitze krümmte sich leise. Wolzow streichelte sie: »Ruhig, Miezchen! Gleich gibt’s was Schönes …« Er tauchte den nackten linken Arm ins Aquarium. »… was Schönes zu fressen … was Markenfreies … eine Sonderzuteilung!« Dann warf er den ersten Fisch auf den Boden … Die Katze war mit einem Satz abgesprungen und verschwand mit dem zappelnden Salmler unter einer Bank. Stumm und atemlos sah die Klasse zu, wie Wolzow Prachtschmerlen und Barben aus dem Aquarium fischte. Die Katze begann laut zu schnurren. Sie fraß, daß es knirschte, und ihre Augen funkelten. Dann schlich sie davon, leckte sich das Maul, noch immer schnurrend, und von Doktor Zickels Fischen blieben nur ein paar glänzende Schuppen auf dem Fußboden zurück.
    »So!« sagte Wolzow. Das Schweigen war wie eine Huldigung, die er gelassen entgegennahm. »So, mein Lieber! Wer hat hier Schiß vor den Paukern?« Er ging zu seinem Platz, setzte sich und nahm sein Buch vor. Er war blaß. Er rief: »Vergiß nicht, heut um vier!« Aber Holt dachte nur dies: Er fliegt, und ich hab ihn dazu getrieben …
    Zemtzki pfiff.
    Doktor Zickel war ein verkümmertes Männlein mit dem Habitus eines zwölfjährigen Jungen, dem man den Kopf eines Greises aufgesetzt hat. Er trat vor die Klasse, in Knickerbockers, grüner Joppe und weißem Hemdchen mit geöffnetem Bubikragen. Mit einer heiseren Knabenstimme rief er den Hitlergruß. Seine Rede war voller Eigenarten: er pflegte öfters »ni wahr« zu sagen und gab, zwischen die Worte eingestreut, ein seltsames Geräusch von sich, eine Mischung aus Hüsteln und Räuspern, die wie »Khkh« klang. Er sagte: »Wo is … ni wahr … das Klassenbuch … khkh …?« Aus einer Ecke kam ein gedämpftes »Meck-meck«, was ihn nervös machte, ohne daß er darauf eingegangen wäre … Er war viel Kummer gewöhnt. Sein Blick fiel auf das kopflose Skelett, und die magere Brust hob sich in erregten Atemzügen. »Das is … kh-kh … das is enne Lumperei is das, ni wahr …« Er schaute wild in die Klasse, dann sah er aufs Aquarium, und er wankte.
    »Wer … wer is es gewesen?«
    »Herr Lehrer!« rief der kleine Zemtzki. »Ich bin es nicht gewesen, aber ich bin es nicht allein nicht gewesen, die anderen sind es auch alle nicht gewesen!«
    Zickel war außer sich. Er trat ans Aquarium, und er schrie, mit einer Wut, die seinen schmächtigen Körper erzittern ließ: »Wer … kh-kh … hat den Schädel … ihr feigen Gesellen … kh-kh … wer hat den Schädel von dem armen Skelett, ni wahr, das is doch auch emal e Mensch gewesen … wer hat’n ins Aquarium …« Aber jetzt erst erkannte er das ganze Ausmaß dessen, was man ihm angetan hatte, und sekundenlang brachte sein bebender Mund nichts als ein spuckendes »Kh … kh-kh …« hervor.
    »Wolzow! Haben Sie … die Fische …?«
    »Lassen Sie mich doch mit Ihren kindischen Verdächtigungen in Ruhe«, knurrte Wolzow, ohne aufzustehen … Und nun log die Klasse mit einer Ausdauer, an der Zickels Wut verpuffte. Verzweifelt begann er eine Untersuchung, aber da seinem Zorn jede physische Grundlage fehlte, die langwierige und ermüdende Befragung der Schüler zu überdauern, log man immer dreister und verhöhnte ihn, und Zickel ermattete, dem Weinen nahe.
    »Fische?« sagte Holt, als er an der Reihe war,
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