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~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)

~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)

Titel: ~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
Autoren: Dennis Welz
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doch einfach alleine kämpfen! Muss ich mich noch vor euch blamieren?! Warum sie noch mit mir gehen ist mir schleierhaft.
    Ich breche nicht zusammen. Ich schaffe es. Das Schild zeigt: Noch fünf Kilometer. Ich kann nicht mehr. Ich hasse diesen Weg. Nein ich liebe jeden Schritt. Wenn es nur Nacht wäre.
    Ich kann einfach nicht mehr.
     
    Der Schleier der Hitze reißt auf als ich in den weißen Plastikstuhl sinke. Er ist dreckig … was soll’s. Getränkeautomaten stehen in dem kargen Haus noch vor Beginn der Stadt: Hier gehe ich nicht mehr weg. Niemals hat Orangenlimonade so gut geschmeckt. Eiskalt. Ich möchte darin baden.
    Ich könnte weinen. Einfach weil ich da bin. Endlich. Sitzen. Trinken. Ruhe. Angekommen.

27.08.08 18km nach Viana - Eine lange Pause und das Leben in spanischen Städten
    „Du solltest nicht so weit gehen heute“ rät mir der Doktor. Den Spitznamen bekommt er von mir. Erstens ist er Professor für Krebsforschung. Zweitens, gibt er gerne und häufig ärztliche Ratschläge für alle Belange des Pilgerlebens. Mein Knie bereitet ihm große Sorgen, Denkfalten kräuseln sich über seine Stirn als er mich humpeln sieht. „Ich werde sehen was ich tun kann …“ sage ich, wohlwissend, dass es mir schwer fallen wird, nicht weiter gegen meinen eigenen Körper anzukämpfen.
    So bleibe ich also in Torres. Ein winziges Dorf. Mein Blick geht nach rechts, nach links, ins Leere. Menschen ziehen vorbei. Pilger auf der Reise. Und wieder zieht der unsichtbare Faden, der um meine Seele geschlungen zu sein scheint an mir. Zerrt mich Richtung Weg, möchte, dass ich Weitergehe.

    „Du wirst eh gehen, weil du auf dein Bauchgefühl hörst, und das auch gut so ist“. Susannes Worte dringen dumpf aus der Ferne durch das Handy an mein Ohr. Sie kennt mich zu gut. Ich weiß nicht was ich sagen soll, erzähle ihr irgendetwas über den Weg, etwas über die Schmerzen, etwas über meine Zerrissenheit.
    Welche Ironie. Einerseits kann ich kaum gehen, andererseits kann ich nicht bleiben. Der Weg treibt mich weiter. Vielleicht bleibe ich ja morgen in einer größeren Stadt … ja vielleicht.
     
    Die lange Pause in Torres hat meinem Körper gut getan. Vielleicht waren es auch Susannes Worte. Der Weg hat Gnade mit mir, kommt meinen Schritten entgegen. Beinahe ohne Probleme komme ich in Viana an.
     
    Viele bekannte Gesichter finde ich. Sie sitzen an Tischen, reden in der Herberge, wandeln durch die Straßen. Zum Beispiel ‚das Pärchen mit Hut‘. Kurze Spitznamen fallen mir nicht ein, bin wohl doch kein so begabter Schriftsteller, denke ich. Trotzdem: Nicht nur mein Spanisch wird langsam flüssiger, auch meine Einträge im Tagebuch werden besser, ausführlicher und schöner geschrieben.
     
    Auf dem Jakobsweg fließt allesineinander. Erst die Sprachen, so dass ich nicht mehr weiß was ich mit wem sprechen solle. Dann auch die Gedanken. Es ist schwer geworden einen ganz konkreten Gedanken zu fassen. Sie verstecken sich, entziehen sich mir, weigern sich ans Tageslicht zu kommen, finden nur schwer einen Weg zu meinen Lippen. Wissen, dass mir sonst jederzeit zur Verfügung steht wirkt nun wie begraben. In hochphilosophische Gedankengänge mischen sich triviale Erkenntnisse. Mein Ringfinger ist entzündet. Ich beobachte ihn eine Weile, dann habe ich vergessen was ich gerade noch schreiben wollte.
     
    Leben. Buntes, wirres, lachendes, prustendes und erfülltes Leben erfüllt den Platz vor der Kirche des Dorfes. Kleine Kinder lernen aus dem ständig fließenden Brunnen zu trinken ohne nass zu werden. Ein Mann mit einem sehr hohen Schuhabsatz, der sein zu kurzes Bein ausgleicht, verkauft Lotterielose. Eine Familie spielt Springseil. Die Pilger dazwischen erkennt man am Gang. Einer humpelt, der andere taumelt beinahe, die dritte hat Mühe sich von der Bank zu erheben. Der eine oder die andere hat Sonnenbrand. Natürlich links. Die Sonne scheint immer von links. Die Fliegen sind zahlreich, so zahlreich wie die Menschen hier unterschiedlich sind, alle sehen anders aus, tragen unterschiedliche Kleidung. Ich die Pilgeruniform. Allein an spanischen Schönheiten mangelt es etwas – natürlich ein Klischee, aber eines das mich zum Schmunzeln bringt.
    Kann man die Schönheit solcher Abende beschreiben?
     
    Es ist still, leer und kühl in der Kirche. Eine Gitarre singt ein Nachtlied in die große Heiligkeit hinein. Es riecht ein wenig nach Weihrauch. Bilder ziehen an mir vorbei, ich träume schon bevor ich schlafe und bleibe sitzen, bis mir
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