Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
80 Days - Die Farbe der Lust

80 Days - Die Farbe der Lust

Titel: 80 Days - Die Farbe der Lust
Autoren: V Jackson
Vom Netzwerk:
dem Club in Holborn, dann wurde sie gefeuert, nachdem eines der anderen Mädchen sie verpfiffen hatte, weil sie mit zwei Gästen abgezogen war.
    Ein junges Paar. Ach, wie unschuldig sie aussahen, schwärmte Charlotte. Sie waren spät an einem Freitagabend gekommen, der Typ vergnügt wie ein Schneekönig, seine Freundin aufgeregt und ein wenig ängstlich, als hätte sie noch nie in ihrem Leben eine andere nackte Frau gesehen. Der Junge hatte vorgeschlagen, für einen Strip zu zahlen, und seine Freundin hatte sich umgesehen und Charlotte ausgesucht. Vielleicht, weil sie sich noch kein richtiges Stripperinnen-Outfit besorgt hatte und keine künstlichen Fingernägel hatte wie die anderen Mädchen. Charlotte war einfach anders: Sie war die einzige Stripperin, die nicht wie eine Stripperin aussah.
    Die Frau war innerhalb von Sekunden unverkennbar erregt, ihr Freund rot bis über beide Ohren. Charlotte hatte großen Spaß daran, diese Unschuldslämmer zu verführen, und es schmeichelte ihr, wie sie auf die Bewegungen ihres Körpers reagierten.
    Sie beugte sich vor und überwand den geringen Abstand, der zwischen ihnen noch verblieben war.
    »Wie wär’s, wenn wir zu mir gingen?«, flüsterte sie ihnen ins Ohr.
    Die beiden erröteten noch ein wenig mehr und stimmten zu. Daraufhin quetschten sie sich zu dritt auf die Rückbank eines schwarzen Taxis und fuhren zu Charlottes Wohnung in Vauxhall. Charlottes Anregung, doch vielleicht in die Wohnung der beiden zu fahren, hatte keinen Anklang gefunden.
    Ihr Mitbewohner habe ein göttliches Gesicht gemacht, erzählte Charlotte, als er am nächsten Morgen, ohne anzuklopfen, ihr Zimmer betrat, um ihr eine Tasse Tee ans Bett zu bringen, und sie nicht nur mit einer fremden Person, sondern gleich mit zweien vorfand.
    Ich hatte schon lange nichts mehr von Charlotte gehört. London hat die Eigenart, Leute regelrecht zu verschlucken, und es war noch nie meine Stärke gewesen, Kontakt zu halten. Doch an den Club erinnerte ich mich.
    Das Striplokal lag nicht in einer dunklen Seitengasse, wie man sich das vielleicht vorstellt, sondern direkt an der Hauptstraße, zwischen einer Filiale der Sandwichkette Pret a Manger und einem Sportgeschäft. Wenige Häuser weiter war ein italienisches Lokal, wo ich mal ein Date hatte, mir unvergesslich, weil ich die Speisekarte an der Tischkerze in Brand gesetzt hatte.
    Der Eingang war leicht zurückgesetzt, und es prangte auch kein Neonschriftzug darüber, doch wenn man genauer hinsah, war es mit der geschwärzten Fensterfront und dem zwielichtigen Namen – Sweethearts – unverkennbar ein Striplokal.
    Von plötzlicher Neugier getrieben, klemmte ich mir den Geigenkasten fest unter den Arm, machte ein paar Schritte und zog an der Tür.
    Sie war zu. Geschlossen. Um acht Uhr dreißig an einem Donnerstagmorgen vielleicht nicht verwunderlich. Ich rüttelte noch einmal hoffnungsvoll an der Tür.
    Nichts.
    Zwei Männer rollten in einem weißen Lieferwagen langsam vorbei und ließen die Scheibe herunter.
    »Versuch’s noch mal um die Mittagszeit, Schätzchen«, rief einer herüber. Sein Gesicht drückte eher Mitgefühl als anzügliches Interesse aus. In meinem schwarzen Kleid und mit dem dicken Make-up vom Vorabend, mit dem ich mich als Rock-Göre zurechtgemacht hatte, sah ich wahrscheinlich wie ein Mädchen aus, das verzweifelt nach einem Job suchte. Und wenn es so wäre?
    Ich war inzwischen wirklich hungrig, und mein Mund war trocken, zudem schmerzten mir die Arme. Wie immer, wenn ich wütend oder im Stress war, presste ich die Geige fester an mich. Ungeduscht und in den Klamotten vom Vortag traute ich mich gar nicht in das französische Restaurant. Ich wollte nicht, dass der Küchenchef mich für eine Schlampe hielt.
    Also nahm ich die U-Bahn nach Whitechapel, ging in meine Wohnung, zog das Kleid aus und rollte mich im Bett zusammen. Mein Wecker war auf drei Uhr nachmittags gestellt, dann wollte ich wieder in die U-Bahn und für die Nachmittagspendler musizieren.
    Selbst an den schlimmsten Tagen, an denen sich meine Finger so unbeholfen anfühlten wie eine Faust voller Würstchen und mein Kopf mit Kleister gefüllt schien, fand ich immer noch eine Möglichkeit, irgendwo zu spielen, und wenn es nur in einem Park für die Tauben war. Obwohl ich nicht besonders ehrgeizig war und mich auch nicht darum kümmerte, mit meiner Musik Karriere zu machen, träumte ich natürlich dennoch davon, entdeckt und unter Vertrag genommen zu werden und im Lincoln Center oder der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher