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80 Days - Die Farbe der Lust

80 Days - Die Farbe der Lust

Titel: 80 Days - Die Farbe der Lust
Autoren: V Jackson
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selbstverständlich, aber diesmal hatten sie einen guten akademischen Jahrgang. Gerade die richtige Mischung aus ausländischen und einheimischen Studenten und somit eine Herausforderung, die ihn reizte und wach hielt. Im Gegensatz zu vielen anderen Professoren behandelte er in seinen Vorlesungen immer wieder neue Aspekte, und sei es nur, um nicht in die Fänge von Langeweile und Vorhersehbarkeit zu geraten. Dieses Semester befasste sich sein Kurs in vergleichender Literaturwissenschaft mit der Häufung der Elemente Tod und Selbsttötung bei den Autoren der 1930er und 1940er Jahre, und zwar anhand der Romane des Amerikaners Scott F. Fitzgerald, des oft fälschlich als Faschisten eingestuften französischen Autors Drieu La Rochelle und des Italieners Cesare Pavese. Nicht gerade ein aufbauendes Thema, doch es schien bei seinen Hörern, besonders bei den Frauen, irgendwie einen Nerv zu treffen. War wohl der Sylvia-Plath-Effekt. Hauptsache, es trieb keine von ihnen dazu, ihr nachzueifern und den Kopf in den Gasherd zu stecken, dachte er und grinste innerlich.
    Eigentlich war er auf den Job nicht angewiesen, denn sein Vater hatte ihm bei seinem Tod vor zehn Jahren eine stattliche Summe hinterlassen. Und das völlig unerwartet. Ihre Beziehung war nicht einfach gewesen, deshalb hatte er angenommen, das Erbe werde an seine Geschwister gehen, mit denen er weder regelmäßigen Kontakt noch sonderlich viel gemeinsam hatte. Es war eine angenehme Überraschung gewesen und wieder einmal einer dieser unvorhergesehenen Richtungswechsel im Lauf seines Lebens.
    Nach der Vorlesung hatte er sich mit einigen Studenten in seinem Büro getroffen, mit ihnen den Fortgang ihrer Studien besprochen und Fragen beantwortet. Dabei war ihm die Zeit aus dem Ruder gelaufen. Eigentlich hatte er sich im Curzon-Kino im West End einen Film in der Nachmittagsvorstellung ansehen wollen, aber dafür war es mittlerweile zu spät geworden. Nicht weiter schlimm – dann eben am Wochenende.
    Sein Handy vibrierte und klingelte und schob sich wie eine Krabbe über seinen Schreibtisch. Er nahm es in die Hand. Eine SMS .
    »Lust auf ein Treffen? C.«
    Dominik seufzte. Sollte er oder sollte er nicht?
    Seine Affäre mit Claudia lief nun schon seit einem Jahr, aber er wusste mittlerweile nicht mehr, was er von der Sache mit ihr halten sollte und ob ihm noch etwas an ihr lag. Rein juristisch gesehen war das Ganze sauber, da sie erst nach Abschluss ihres Kurses bei ihm etwas miteinander angefangen hatten, wenn auch nur wenige Tage später. Moralisch konnte man ihm nichts vorwerfen. Inzwischen bezweifelte er allerdings, ob er die Beziehung überhaupt noch fortsetzen wollte.
    Er beschloss, nicht gleich zu antworten. Er brauchte Bedenkzeit. Er nahm seine abgewetzte schwarze Lederjacke vom Haken, steckte Bücher und Vorlesungsunterlagen in seine Stofftasche und ging. Den Reißverschluss bis zum Anschlag hochgezogen, stemmte er sich gegen den schneidenden Wind, der ihm auf dem Weg zur U-Bahn vom Fluss her entgegenblies. Es wurde bereits dunkel, ihn umfing das dumpfe Metallgrau des Londoner Herbstes. Die Menschenmassen kamen ihm bedrohlich vor, so kurz vor der Rushhour: Pendler eilten in beiden Richtungen an ihm vorbei; Unbekannte, mitgerissen vom Sog, stießen ihn an. Normalerweise hatte er um diese Stunde das Stadtzentrum schon hinter sich gelassen. Irgendwie schien es, als zeige ihm die Stadt jetzt ein unbekanntes Gesicht, die ihm fremde Dimension der Arbeitswelt, bestimmt von mechanischer Wiederholung, schwer und bleiern. Geistesabwesend nahm Dominik eine der kostenlosen Abendzeitungen, die man ihm entgegenstreckte, und betrat die U-Bahn-Station.
    Claudia war eine Deutsche, eine falsche Rothaarige und toll im Bett. Ihr Körper roch oft nach Kakaoöl, weil sie ihre Haut regelmäßig mit einer damit parfümierten Creme pflegte. Wenn Dominik eine ganze Nacht mit ihr im Bett verbrachte, bekam er von dem dominierenden Duft irgendwann leichte Kopfschmerzen. Es geschah allerdings nicht oft, dass sie die ganze Nacht zusammenblieben. Sie vögelten, unterhielten sich über Belangloses und gingen dann bis zum nächsten Mal auseinander. So eine Affäre war das: keine Fesseln, keine Fragen, keine Ausschließlichkeit. Mit fast schon aseptischer Rücksichtnahme erfüllten sie einander ihre jeweiligen Bedürfnisse. Er war in diese Beziehung mehr oder weniger hineingeschlittert, Claudia hatte die Signale gestellt und dann grünes Licht gegeben, und er war sich bewusst, dass nicht er die
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