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69

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Titel: 69
Autoren: Ryu Murakami
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Es war wie im Gefängnis. Eine Kolonie unter Militärregierung. Es war zum Kotzen.
    »Okay, eigentlich bin ich nicht wirklich hier, um für einen Artikel zu recherchieren ...«
    »Was dann?«
    »Ich, äh, wollte mich nur ein bisschen unterhalten.«
    »Kannst du nicht sehen, dass wir hier beschäftigt sind? Hier hat niemand Zeit für so etwas.«
    Drinnen fertigten die Mädchen Matrizen an, um das Skript zu vervielfältigen. Quietsch, kreisch, quietsch, kreisch. Die Hälfte von ihnen ignorierte Yoshioka und mich, und die anderen beobachteten uns. Kazuko Matsui beobachtete uns. Sie hielt nachdenklich einen Stift an ihre Wange. Sie hatte Augen wie Bambi. Augen, für die ein Mann kämpfen und sterben konnte.
    Ich grinste höhnisch und sagte: »Lächerlicher geht’s ja wohl nicht mehr.«
    Yoshioka war verblüfft. »Wovon redest du?«
    »Shakespeare - was soll das? Tausende von Menschen sterben in Vietnam, und Sie spielen Shakespeare. Das ist lächerlich. Herr Yoshioka ...«
    »Was?«
    »Schauen Sie aus dem Fenster, zum Hafen rüber. Jeden Tag stechen amerikanische Kampfschiffe in See, um Menschen zu töten.«
    Er war völlig durcheinander. Lehrer in der hintersten Provinz wie er wussten nicht, wie sie mit Schülern mit revolutionären Gedanken umgehen sollten. Sie konnten einen nicht einfach rumschubsen wie die gewöhnlichen Lahmärsche.
    »Das werde ich dem Lehrer melden, der für deinen Club verantwortlich ist.«
    » Mögen Sie Krieg, Herr Yoshioka?«
    »Was soll das heißen?«
    Yoshioka hatte den Zweiten Weltkrieg erlebt. Er hatte wahrscheinlich seinen Teil von dem ganzen Elend abgekriegt. Sein Gesicht verdüsterte sich. Krieg war praktisch. Man konnte ihn bei Diskussionen mit Lehrern immer benutzen; sie fühlten sich dann unwohl, besonders, wenn sie gezwungen waren, vor der Klasse zu sagen, dass Krieg schlecht sei. Sie versuchten immer, sich um das Thema herumzudrücken.
    »Yazaki, raus hier. Wir haben zu tun.«
    »Sind Sie gegen den Krieg?«
    Ich fragte mich, ob er Militärdienst geleistet hatte. Da er klein und ein künstlerischer Typ war, hätten sie ihn wahrscheinlich höllisch zur Schnecke gemacht...
    »Wenn Sie dagegen sind, ist es feige, das nicht zu sagen.«
    »Was hat das denn damit zu tun?«
    »Eine Menge. Amerikanische Truppen benutzen unseren Hafen. Um Menschen zu töten ...«
    »Das ist nichts, worüber sich Oberschüler Gedanken machen sollten.«
    »Wer soll sich denn dann Gedanken darüber machen?«
    »Yazaki, du kannst diese Meinungen predigen, wenn du die Universität geschafft hast, einen Job hast, verheiratet bist und deine eigenen Kinder hast. Wenn du ein vollwertiger Erwachsener bist.«
    So ein Scheiß. »Predigen« , du liebe Güte.
    »Oh. Man kann also nicht gegen den Krieg sein, ehe man nicht erwachsen ist? Heißt das, Kinder sterben nicht im Krieg? Oberschüler sterben nicht im Krieg?«
    Yoshiokas Gesicht wurde puterrot. Genau in dem Moment kam der Lauftrainer Kawasaki mit dem Judotrainer Aihara vorbei. Ich bemerkte sie nicht. Ich erklärte Yoshioka gerade, dass nichts zu tun genauso wäre, als wenn man dafür wäre, und fragte ihn, ob es okay sei, wenn ein Lehrer dafür war zu töten, als Aihara hinter mich trat, mich bei den Haaren packte, mir dreimal ins Gesicht schlug und mich zu Boden warf. »Yazakiiiiii!«, schrie er. Aihara war ein Armleuchter von irgend so einer miesen, rechtsgerichteten Uni. Aber er war auch ein Kerl, vor dem man Angst bekommen konnte, mit Blumenkohlohren, und er war mal nationaler Judo-Champion im Mittelgewicht gewesen. »Steeeh auf!«, schrie er. Erst schlug er mich zusammen, dann sagte er mir, ich solle aufstehen. Das kotzte mich an, aber die Blumenkohlohren und die platt gedrückte Nase flößten mir einen gewissen Respekt ein, also erhob ich mich schwankend. »Du kleiner Aaaarsch. Was glaubst du, mit wem du reeedest?« Er schlug mich noch einmal. Seine Handflächen waren verhornt und hart, so dass auch eine einfache Ohrfeige ziemlich heftig ausfiel. »Du kannst zwar nicht mal ein Rennen laufen, aber dein Mundwerk läuft dafür wie geschmiert, was?« Das war Kawasakis Beitrag. Warum musste er mir gerade jetzt mit dieser Renn-Scheiße kommen? Ich spürte, wie Tränen der Verzweiflung in mir hochstiegen. Wenn ich jetzt anfing zu weinen, war alles vorbei: Kazuko Matsui schaute zu. Aihara grinste. Wenn man ein Typ ist, der Komplexe hat, weil er von einer lausigen Uni kommt, verschafft einem nichts im Leben mehr Befriedigung, als Jungs wie mich zusammenzuschlagen. Auch
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