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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
Autoren: Karl May
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verloren hat, wie das meinige, so wird er ruhiger geworden sein. Aber schön von dir war es, Leni, daß du mich so gut verteidigt hast. Du bist ein wahrer Advokat und Rechtsgelehrter. Dein einziger Paragraph lautet, die Leute zum Berg hinunterwerfen, daß sie wieder hinauffliegen. Nun bist du den Kerl los, und ich kann endlich abisteigen.“
    „Willst wirklich fort, Sepp?“
    „Ja, ich muß. Du weißt ja.“
    Er warf den Rucksack um, stülpte den Staatshut auf den Kopf, hing die Zither an das Band, ergriff den Bergstock und verabschiedete sich:
    „Behüt dich Gott und die heilige Jungfrau, meine liebe Leni! Bald kraxle ich wieder einmal herauf zu dir, wann ich wieder in diese Gegend komme. Denk an den Sepp, Lenerl, denk an ihn; du bist seine einzige Freud in der Welt, du und die Zither und – das Band im Knopfloch. Und das sag ich dir: Wann du meinen Juchzer hörst, so antwortest mir fein hübsch!“
    Er reichte ihr die Hand und küßte sie auf die Stirn. Seine Augen waren feucht. Auch in den ihrigen standen Tränen.
    „Behüt dich Gott, Sepp! Nun hab ich schon gar keine Freud mehr, daß du fortgehst. Aber ich will dich nicht bitten, denn ich weiß, daß es doch nix nützen würde. Ich werd sehr oft an dich denken, Pate. Bleib gesund. Ich bitte die heilige Mutter Gottes, daß sie dich behüten möge allwegs, wo du gehst und stehst!“
    Sie stellte sich an den Rand des Felsens, um ihn so lange wie möglich zu sehen und seine Jodler zu hören. Er stieg langsam bergab, tiefer, immer tiefer. Als er den Abhang erreichte, da wo der steile Pfad um die Felsenecke bog, blieb er stehen, hielt die Hand an den Mund und sang mit heller Stimme:
    „Holderoijooooh!“
    „Holderoijooooh!“ antwortete es von oben herab.
    Und nun begann er, Worte und Melodie gleich aus dem Stegreif bildend:
    „Und die Leni ist eine Brave,
Und die Leni ist eine Feine,
Und wie die Leni, wie die Leni
Ist gar nirgends noch eine!
Juch, juch, juch!“
    Der Juchzer erschallte als Echo von dem Felsen zurück, und dann ertönte die Stimme der Sennerin:
    „Und der Sepp mit dem Rucksack
Und der Sepp ist mein Pat',
Und der Sepp ist mir lieber
Als ein Offizier und Soldat.
Juch, juch, juch!“
    Die Muren-Leni war bekannt und sogar berühmt als die beste Jodlerin weit und breit. Ihre Stimme hatte einen ‚ungeheuren Umfang und außerordentliches Metall‘, wie der Kantor unten im Dorf sehr oft gesagt hatte. Das war jetzt zu hören. Es war, als ob die Berge bebten, so mächtig drang es aus der Brust des schönen Mädchens hervor.
    Wenn ein Kenner diese Stimme gehört hätte, er hätte die arme Sennerin ganz sicher aus der Hütte und von der Alm hinweg genommen, um eine gefeierte Künstlerin aus ihr zu bilden. Dem Sepp lachte das Herz im Leib, zumal er durch die Worte des Jodlers so hoch geehrt wurde. Darum gab er auch seiner Stimme größere Stärke, als er zum zweiten Mal begann:
    „Und da drüben und da droben,
Wo der Ziegenbock springt
Und da steht halt die Leni,
Die den Wurzelsepp ansingt.
Juch, juch, juch!“
    Sofort antwortete sie:
    „Der König hat eine Krone,
Und der Sepp hat einen Hut
Und der König wird mein Mann nicht,
Doch dem Sepp, dem bin ich gut.
Juch, juch, juch!“
    Dabei schwenkte sie ihr weißes Taschentuch. Der Alte hatte keins, viel weniger ein weißes. Er behandelte seine Nase nicht so vornehm. Hatte er ja einmal den Schnupfen, was aber so selten vorkam, daß er sich auf den letzten gar nicht mehr besinnen konnte, so behandelte er die Patientin mit den Fingern. Das war billiger und auch viel bequemer. Darum konnte er nicht auch mit einem ‚Nastuch‘ winken, sondern er nahm den Rucksack vom Rücken und schwenkte ihn über den Kopf, daß die Wurzeln heraus- und umherflogen. Er sah es und rief erschrocken:
    „Herrgottsakra! Da fliegen meine Gulden und Kreuzer umher! Das hat man davon, wenn man mit einem schönen Mädchen Gestanzeln macht! Nun kann ich das Zeug nur gleich wieder zusammensuchen!“
    Er blickte umher und erschrak noch tiefer als vorher. Während des Wechselgesangs war ein Mann hinter der Felsenecke hervorgetreten und hatte mit Erstaunen zugehört. Er trug die Tracht des Gebirges, Bergschuhe, Halbstrümpfe, Joppe, Weste, breiten Gürtel, einen kleinen Hut mit Edelweiß und Spielhahnfeder, einen Rucksack auf dem Rücken und ein Gewehr von der Achsel herab. In der mit kostbaren Ringen geschmückten Hand hielt er den Bergstock, welcher oben mit einer Gamskrickel (Gemshorn) versehen war. Auch die schwere, goldene Uhrkette
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