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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
Autoren: Karl May
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schreist wie ein Truthahn
Und singst wie ein Pfau;
Davon tut halt das Ohr weh,
Und alles schreit au!“
    Der Wurzelsepp lachte und meinte:
    „Das war brav! Ich kann den Kerl halt auch nicht leiden. Polizei muß sein, und Polizist ist notwendig. Der Polizei hat man viel zu danken; aber ein guter Polizist wird sich niemals zum Hausspion erniedrigen. Horch!“
    Von unten herauf erscholl es:
    „Das Dirndl hat Zähnerl
So weiß wie ein Schnee,
Doch sind sie halt eingesetzt,
Drum tut ihr keins weh!“
    Leni antwortete sofort, ohne sich zu besinnen:
    „Fall nicht in die Schüssel,
Könntst nimmer rausgucken,
Ich tät dich ja gleich so
im Löffel 'neinschlucken!“
    „Bravo, bravissimum!“ lachte der Alte, indem er sich vor Vergnügen mit den beiden flachen Händen auf die Oberschenkel klatschte. „Gib's ihm, gib's ihm!“
    Der Jäger aber, welcher näher und näher kam, ließ sich nicht irremachen.
    Er sang:
    „O du Herzerl, du Tauserl,
Hast'n Kopf wie ein Mauserl
Und ein Herzerl wie Wachs –
Krumme Bein wie ein Dachs!“
    Um die Wirkung dieses Trutzgesangs zu verstärken, schoß er sein Gewehr ab. Leni antwortete:
    „Der Jäger hat geschossen
Aber's Schießen nicht könnt
Und hat bei der Gelegenheit
Sich den Schnauzer verbrennt.“
    In den Alpen sind nämlich solche Gestanzeln und Trutzlieder gang und gebe. Der eine beginnt, und der andere antwortet. Es geht herüber und hinüber, und ein jeder ist der Dichter der Reime, welche er singt. Der Jägernaz sang noch einen Vers. Leni antwortete ihm nicht wieder. Sie meinte zu ihrem Paten:
    „Wahrhaftig, er kommt zu mir! Ich habe gemeint, er will den anderen Pfad emporsteigen nach der Nachtwandlerin; jetzt aber höre ich, daß er auf meinem Weg geblieben ist. Was tue ich?“
    „Fürchtest du ihn etwa?“
    „Nein; aber er ist mir zuwider; er ist ein so sehr zudringliches Mannsbild.“
    „Was? Wie? Hat er dich etwa gar einmal belästigen wollen? Dann –“
    Der Alte hob die beiden Fäuste in die Höhe.
    „Er hat es gewollt, aber es ist ihm halt nicht gelungen.“
    „Das glaub ich. Du bist ein Mädel, welches halt seinen Mann stellt. Aber besser ist besser. Wird er lange hier bleiben?“
    „Nein. Er bleibt niemals lange hier; ich sorge schon dafür.“
    „So will ich noch ein wenig warten. Wehe ihm, wenn er meine Pat' unrecht anblickt. Sag ihm aber nix, daß ich auch da bin!“
    Er ergriff Zither, Hut, Rucksack und Bergstock, um sich zu verstecken. Die Sennerin aber sagte:
    „Brauchst keine Angst um mich zu haben. Dort steht mein Beschützer der Peter.“
    Sie deutete nach der Alm, welche sich hinter der Hütte hoch emporzog. Dort weideten die Kühe und Ziegen. In der Nähe der Sennhütte war eine sogenannte Salzlecke angebracht, ein breiter, seichter Holztrog, mit Viehsalz gefüllt. Die Wiederkäuer lecken gern von dem Salz, und ein solcher Trog erleichtert das Zusammenleben einer Herde ungemein.
    Eben jetzt befand sich der Held und Pascha der Ziegenherde dort, ein großer, ungewöhnlich starker Ziegenbock. Er war es, den die Sennerin als ihren Beschützer bezeichnete. Der Wurzelsepp meinte aber:
    „Das Vieh kann dir da nix helfen. Es ist besser, ich bleibe da.“
    Er verschwand in der Hütte, blieb aber nicht in dem Sennerraum, sondern trat in das danebenliegende Heustadl, um von dem Jäger nicht gesehen zu werden, wenn dieser in der Hütte nachforschen sollte, ob jemand da sei.
    Kaum hatte der Alte sich verborgen, so tauchte der Jäger hinter den Felsen auf, hinter denen sich der Bergpfad in die Tiefe stürzte. Leni hatte sich indessen auf die Bank gesetzt und eine höchst unbefangene Miene angenommen. Er kam herbei, blieb vor ihr stehen und stemmte das Gewehr mit dem Kolben auf die Erde:
    „Grüß Gott, Schatz!“
    Sie schwieg.
    „Hörst etwa nicht?“
    „Meinst etwa mich?“
    Sie blickte erst jetzt zu ihm auf.
    „Wen sonst? Ist etwa noch eine andere hier?“
    „Nein. Aber wenn du ‚Schatz‘ sagst, mußt halt doch eine andere meinen.“
    „Oho! Willst mein Schatz nicht sein?“
    „Nein.“
    „Warum nicht?“
    „Weil du mir nicht gefällst.“
    „Nicht? Wie müßte ich denn sein, wenn ich dir gefallen sollte?“
    „Ganz das Gegenteil von jetzt.“
    „Und Jäger dürft ich etwa auch nicht sein?“
    „Warum nicht?“
    „Weil die Polizei nirgends beliebt ist und auf der Alm gar erst recht nicht.“
    „Schwatz nicht so dummes Zeug. Die Polizei muß sein. Sie ist vom Herrgott und von unserem guten König Ludwig eingesetzt. Ohne Gesetz und Polizei
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