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66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab

Titel: 66 - Der Weg zum Glück 01 - Das Zigeunergrab
Autoren: Karl May
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höchlichst wunderte.
    „Hast auch einen Schatz?“ fragte er.
    „Nein. Ich kenn einen, dem bin ich halt seelensgut; aber er weiß nix davon und ist ein Wilderer. Da mag ich ihn nicht. So bleib ich also ledig, so lange ich lebe. Glaubst's wohl nicht? Das Herz hat nur eine Lieb, und tut man die begraben, so steht sie nimmer wieder auf.“
    Das klang so selbstbewußt und so rührend, daß er ihre Hand ergriff und teilnehmend sagte:
    „Du bist ein braves Mädchen. Schau, die Alpen glühen.“
    Die Firnen leuchteten goldig- und dann purpurrot, bis sie dunkelten. Dann ging der Mond auf; er war voll und goß sein magisches Licht über die träumende Alpenwelt.
    „Jetzt sollst du ein Lied singen!“ bat der König.
    „Ich bin nicht lustig dazu. Wannst mich ansingst, so will ich schon antworten. Oder kannst nicht?“
    „Es wird schwer gehen“, lächelte er.
    „Hast etwa keinen guten Schulmeister gehabt im Singen? Das ist schade!“
    „Na, er war schon klug, aber ich hatte kein Geschick.“
    „Versuch's halt nur einmal!“
    Es überkam ihn eine eigentümliche Stimmung. Er stand auf, trat einige Schritte vor und sang:
    „Gen Berg bin ich gelaufen,
Gens Tal bin ich gerennt
Da hat mich mein Schatzerl
Am Juchzen erkennt.“
    „Schau, es klingt halt gar nicht so übel. Horch!
    Ein Pferderl, hott hott
Und ein Schlitten, tschin, tschin
Und ein Büberl, ein Dirndel
Die sitzen darin.“
    Jetzt hatte sie einmal angefangen und sang nun fort. Er hörte ihre herrliche Stimme, aber er folgte dem Text wohl kaum. Sie sang Lustiges und Trauriges. Er hörte zu, bis sie müd wurde und endlich sagte:
    „Jetzt ist's genug. Geh in dein Bett; ich werde dir leuchten.“
    Er war es zufrieden. Er fühlte sich als Mensch, nicht als Majestät, ganz unter dem Bann ihrer Stimme und ihrer reinen, taufrischen Mädchenhaftigkeit. Sie hatte ihm auf dem Heu mit reinem Linnen, welches eigentlich für sie selbst bestimmt war, ein sauberes Lager bereitet, sagte ihm gute Nacht und kehrte dann in den vorderen Raum zurück.
    Er wollte schlafen und konnte doch nicht. Daran war nicht allein der ungewohnte starke Duft des Heus schuld. Er mußte an Leni denken. Er war überzeugt, ein Wesen gefunden zu haben, aus welchem eine gottbegnadete Künstlerin heranzubilden sei, und dachte über die Wege nach, auf denen dies zu geschehen habe.
    Da hörte er draußen schleichende Schritte. Es schien jemand an den Brettern des Stadels zu probieren. Wer war das? Es tappte und tappte und stieß gegen die Holzwand. Sollte es ein Dieb sein? Oder hatte die Sennerin doch einen Geliebten?
    Er stand auf, stieg vom Heu herab und trat zu Leni ein. Sie saß auf dem Schemel, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, und schlief. Das Licht hatte sie nicht ausgelöscht. Er zögerte, sie zu wecken, sie, die jedenfalls den Schlaf notwendig brauchte. Er nahm sein Gewehr, schob leise den Riegel von der Tür und trat hinaus.
    Der Mond war höher gestiegen. Die Alm war fast tageshell erleuchtet. Wie unter mattem, flüssigem Glas lag das Tal. Die Spitzen der Berge schienen den Sternenhimmel zu berühren. Herr, wie viele sind deiner Werke. Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll deiner Güte!
    Ludwig horchte. Er konnte nichts hören. Das Schleichen war auf der anderen Seite gewesen. Er wollte dorthin und ging auf den Fußspitzen um die Ecke, das Gewehr schußfertig in der Hand. Hier gab es Schatten. Er mußte noch um die nächste Ecke, um auf die Seite zu gelangen, auf welcher er das Geräusch gehört hatte. Er bog also auch um diese Ecke und – rannte mit einem Wesen zusammen, welches in demselben Augenblick von jenseits um die Ecke biegen sollte. Die Büchse entfiel ihm; er hatte keine Zeit, das Gewehr aufzuheben, denn das betreffende Wesen war ein Tier, ein – Bär.
    Der König sprang blitzschnell zur Seite. Mit eben solcher Schnelligkeit aber folgte ihm das Tier. Auch hier waren an der Mauer Scheite von Brennholz aufgeschichtet. Der König riß eins an sich, holte aus und schmetterte es dem Bären an den Kopf – ganz erfolglos. Es war, als habe er mit einem kleinen Hammer auf einen Amboß geschlagen. Er holte zum zweiten Hiebe aus. Der Bär richtete sich empor und streckte die Pranken nach ihm aus. Der Streich fiel, und das Holzscheit prellte dem König aus der Hand. Ein brüllendes Brummen war die Antwort des Bären. Er öffnete den Rachen – da blitzte es hart hinter dem König auf. Ein Schuß krachte, und zu gleicher Zeit wurde er von einem mächtigen Ruck zu
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