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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall
Autoren: David Zurdo
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Menschen vor der Gefahr warnen, doch dann dachte er nochmals nach: Die Gefahr war unausweichlich, das Schicksal gewiss und unerbittlich. Vielleicht hatten andere vor ihm ebenfalls die Wahrheit gekannt. Vielleicht waren sie deshalb verschwunden oder verrückt geworden. Verschwinden und fliehen … Doch niemand kann vor sich selbst fliehen.
     
    Albert Cloister saß schon seit Stunden auf einem Barhocker aus Metall und Plastik an der Theke eines Bordells außerhalb von Istanbul. In seinen Adern vermischte sich Kokain mit Alkohol und hatte bereits das Gehirn erreicht. Eine drogenabhängige Prostituierte von etwa dreißig Jahren, die jedoch wirkte wie sechzig, streichelte ihm im Gegenzug für einen schottischen Whisky den Schritt. Tiefer konnte man nicht sinken.
    Doch Albert Cloister wusste, dass es kein »oben« gab. Der Rinnstein, der Boden des Abgrunds war nicht jener Ort, an dem wir uns Oscar Wilde zufolge alle wälzen, von dem aus jedoch einige von uns zu den Sternen aufblicken. Nein. Wir alle wälzen uns im Rinnstein. Punkt. Es gab nichts als Schwärze, Einsamkeit, Verzweiflung.
    Zwei Lastwagenfahrer betraten das Lokal. »He, du da, Bedienung!«, brüllte einer der beiden die Kellnerin an.
    Die beiden Männer wirkten derb, und der Tonfall des ei-nen war beleidigend. Albert bemerkte ihre Anwesenheit erst, als der, der bisher geschwiegen hatte, sich der Prostituierten bei ihm näherte.
    »Was machst du mit der Niete da?«, fragte er sie. Er meinte Albert, der den Blick kurz von der Theke hob und sofort wieder senkte.
    »Hahaha«, lachte der Lastwagenfahrer. »Guck ihn dir doch an, der ist ja schon hinüber.«
    »Ich bin nur müde, du Arschloch.«
    »Was hast du gesagt?«
    Albert antwortete nicht. Er wusste nicht einmal, warum er überhaupt reagiert hatte. Es interessierte ihn einen feuchten Kehricht, ob der Lastwagenfahrer ihm die Frau entführte.
    »Na los, komm mit mir«, beharrte der Lastwagenfahrer und packte sie dabei am Arm.
    »Lass mich in Ruhe!«, kreischte sie.
    Sie sah Albert mit einer seltsamen Mischung aus Verachtung und Mitleid an. Sie war eine Nutte. Sie erwartete keineswegs, dass er sich hier wie ein fahrender Ritter aufführte, aber etwas in seinen Augen, in seinem Blick, hatte sie denken lassen, dass Albert anders sei als die anderen Kerle in dieser schäbigen Pinte. Offenbar hatte sie sich getäuscht.
    In dem Gezerre, das nun folgte, zog der Lastwagenfahrer so fest an der Frau, dass sie gegen Alberts Hocker stieß. Der Ho-cker schwankte, und Albert fiel zu Boden wie ein nasser Sack. Die beiden Lastwagenfahrer brüllten vor Lachen. Albert äffte ihr Lachen leise nach. Erniedrigung war etwas, was sein Herz nicht mehr spürte. Nicht einmal der körperliche Schmerz machte ihm etwas aus. Er erhob sich lächelnd. Rein zufällig sah er einen Billardstock an der Wand lehnen. Er nahm ihn und zog ihn dem Lastwagenfahrer über den Schädel. Der duckte sich instinktiv, erlitt jedoch eine Platzwunde am Kopf, die sofort heftig blutete.
    Nachdem der andere sich von seiner Überraschung erholt hatte, stürzte er sich auf Albert und versetzte ihm einen kräfti-gen Fausthieb mitten ins Gesicht. Albert stürzte erneut zu Boden und rollte bis zur Wand.
    Im selben Augenblick erwachte der alte Daniel in Boston in seinem Zimmer im Altenheim der Vinzentinerinnen abrupt aus seinem Nachmittagsschlaf. Er war allein, die Tür war geschlossen. Er atmete beschwerlicher als sonst ohnehin schon. Dicker Schleim blockierte seine entzündeten Atemwege beinahe vollständig. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte er nicht schreien können.
    Doch er wollte weder schreien noch Widerstand leisten.
     
    Die Lastwagenfahrer verprügelten Albert derart, dass sogar die Kellnerin und die Prostituierte ihn verteidigten, auf die Ge-fahr hin, selbst etwas abzubekommen. Es sah beinahe so aus, als wollten die beiden Männer Albert umbringen. Am Ende begnügten sie sich damit, ihn mit blutüberströmtem Gesicht und zahlreichen Prellungen auf die Straße zu werfen.
    Es hatte geregnet. Albert lag zusammengekrümmt auf dem Asphalt des kleinen Parkplatzes, halb in einer Pfütze, drehte den Kopf und blickte zum Himmel auf, der am Nachmittag voller dunkler Wolken gewesen, doch nun wolkenlos war. Der beinahe volle Mond schien weit oben, weiß, kalt, rein.
    Cloister machte keinerlei Anstalten, sich zu erheben. Er war nass, blutverschmiert, und das Gesicht und die Rippen schmerzten fürchterlich. Er würde hier liegen bleiben, bis er starb. Es war besser,
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