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55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

Titel: 55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Autoren: Karl May
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gesehen?“
    „Nie. Ich weiß nur, daß die Rallions von sehr altem, aber verarmtem Adel sind, und daß der jetzige Chef der Familie die Gunst der Kaiserin, also auch des Kaisers, in hohem Grad besitzt. Dies ist jedenfalls der Grund, daß sein Sohn bereits Oberst ist, obgleich er ein noch jugendliches Alter zu besitzen scheint.“
    „Aber wie kommt dein Papa zu dem Projekt dieser rein geschäftsmäßigen Verbindung!“
    „Das ist auch mir ganz unbegreiflich. Ich werde es aber baldigst erfahren.“
    Diese Worte waren in einem sehr bestimmten Ton gesprochen, und jetzt konnte man deutlich das energische Erzittern der Nasenflügel beobachten.
    „Kennt der Oberst dich vielleicht, Marion? Als Freundin darf ich dir wohl sagen, daß du sehr, sehr schön bist. Es ist leicht möglich, ja wahrscheinlich, daß er dich zu besitzen wünscht, wenn er dich einmal gesehen haben sollte.“
    Die Gefragte ließ ein merkwürdig geringschätziges Lächeln um ihre schönen Lippen spielen, als sie antwortete:
    „Das wäre wohl ganz und gar kein Grund, ihm meine Freiheit und Selbständigkeit zu opfern. Wer mich einst besitzen will, der muß es verstehen, sich nicht nur meine Liebe, sondern auch meine größte Hochachtung zu erwerben. Ich werde mich niemals verschenken.“
    So sprechend, warf sie den Kopf mit einer unnachahmlich stolzen Bewegung zurück. Man sah, daß sie sich ihres Wertes sehr wohl bewußt war.
    „Ah, du hast wohl gar ein Ideal?“ fragte Nanon lächelnd.
    „Ich habe eins, wie jedes junge Mädchen“, lautete die Antwort. „Ich weiß auch, daß dieses Ideal ein Unding, ein Phantasiegebilde ist. Aber eigentümlich – eigentümlich –“
    Sie hielt mitten im Satz inne. Ihre vorher so selbstbewußt leuchtenden Augen nahmen plötzlich einen sinnenden Ausdruck an, mit dem sie sich durch das offene Fenster hinaus auf die Wellen richteten, welche unter dem Rad des Dampfers wild hervorschäumten und weit ausgreifende, dunkle Wasserfurchen bildeten, deren gischtgekrönte Massen die diamantenen Strahlen des Sonnenlichts zurückwarfen.
    „Was?“ fragte die Freundin. „Was ist eigentümlich?“
    Marion strich sich mit der Hand leise über die Stirn und antwortete langsam:
    „Es ist eigentümlich, ja sogar wunderbar, daß ich einen Mann gesehen habe, welcher ganz genau den Körper, das Äußere meines Ideals besitzt. Die Seele freilich wird demselben desto unähnlicher sein. Ich war fast erschrocken, als ich die Gestalt, von welcher ich so oft geträumt hatte, plötzlich in Wirklichkeit erblickte.“
    „Das ist allerdings fast ein Wunder zu nennen. Du bist glücklich, liebe Marion. Wenn doch ich auch einmal mein personifiziertes Ideal sehen könnte! Aber sag', wo hast du den Mann getroffen, und wer war er?“
    „Es war in Dresden, und er war Offizier. Ich fuhr nach dem berühmten Blasewitz, welches Schiller durch seine ‚Gustel‘ verewigt hat, und begegnete da auf der Straße einer kleinen Truppe von Offizieren. Sie jagten an meinem Wagen vorüber, flüchtig wie Phantome, und doch sah ich das Bild meiner Träume unter ihnen – es war dabei.“
    „Wie interessant, wie romantisch, liebe Marion, hast du ihn wiedergesehen?“
    „Ihn nicht; aber – sein Bild!“
    „Ach! Erzähle! Du hast dich vielleicht nach ihm erkundigt?“
    „Wie wäre dies möglich gewesen? Übrigens erwartetest du mich in Berlin; ich hatte Eile. Aber du weißt, daß ich mich in Berlin photographieren ließ. Ich mußte einige Augenblicke ganz allein im Atelier warten und betrachtete die Porträts und Landschaften, welche da an den Wänden hingen und auf den Tischen lagen. Da – da erblickte ich sein Bild. Er war es, ganz genau getroffen, genauso stolz und schön, in der Ulanenuniform, wie er in Dresden an mir vorübergestürmt war. Sein Bild hatte Visitenkartenformat; es war ein Brustbild, es lagen einige Dutzend Exemplare auf einem Häufchen beisammen auf dem Tisch –“
    „Welch' glücklicher Umstand!“ rief Nanon. „Weißt du, was ich an deiner Stelle getan hätte?“
    „Jedenfalls dasselbe, was ich tat“, lächelte Marion. „Ich war allein; niemand sah es – ich wurde zur Diebin; ich stahl eine der Karten und steckte sie zu mir.“
    Da schlug Nanon fröhlich die Hände zusammen und frohlockte:
    „So werde auch ich dein Ideal zu sehen bekommen! Welch' eine durchtriebene Spitzbübin doch diese stolze, kühle Marion ist! Du hast dir die Photographie doch heilig aufbewahrt?“
    „Das versteht sich!“
    „Oh, wenn du sie doch bei
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