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55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

Titel: 55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Autoren: Karl May
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Charakter der Unnahbarkeit verlieh. Die großen, unter herrlich geschwungenen Brauen blitzenden und von vollen, seidenen Wimpern beschatteten Augen besaßen jene mandelähnliche Form, welche nur der sonnige Orient seinen feurigen Töchtern verleiht; doch war diese Form nicht in jener Weise ausgeprägt, welche man oft an den unvermischt gebliebenen Kindern Israels bemerkt. Das nur leicht und außerordentlich graziös gebogene Näschen war zwar sehr fein geschnitten, zeigte aber doch zwei rosig angehauchte Flügel, welche sich ganz energisch aufzublähen vermochten. Der kleine Mund war geradezu wunderbar geschnitten. Ganz wie zum glühenden, überwältigenden Kuß gemacht, zeigten die granatroten Lippen doch nicht jene schwellende Fülle, welche nur das Vorrecht besonders sinnlicher Naturen zu sein scheint. Und wenn sich diese Lippen zu einem Lächeln öffneten, so erschienen zwei Reihen perlenkleiner Zähnchen, an denen sicher selbst der erfahrenste Zahnkünstler kein Fehlerchen hätte entdecken können. Dieser Mund stand eigentlich im Widerspruch mit sich selbst, doch gerade dieser Kontrast war es, der ihn bezaubernd machte. Um die eigenartig graziöse Schwingung der Lippen lagerten sich Trotz und Sanftmut, Stolz und Milde, Selbstbewußtsein und Hingebung, Kühnheit und weibliches Zagen, und es mußte der Zukunft überlassen bleiben, welche von diesen Eigenschaften die Oberhand erlangen und dem Gesichte dann sein dauerndes Gepräge erteilen würde.
    Die Gestalt dieser Dame war voll, aber nicht unschön-üppig, obgleich ein pedantischer Kritikus vielleicht gesagt hätte, daß der Busen, welcher seine sommerlich leichte Hülle zu zersprengen drohte, die Blicke der Männer ein ganz klein wenig zu sehr auf sich ziehe. Das feingewebte, eng anschließende Reisekleid war nicht vermögend, die herrlichen Formen eines sinnberückenden Körperbaus ganz zu verbergen. Das kräftig gebaute Händchen schien nur bestimmt zu sein, mit Inbrunst an das Herz gedrückt zu werden, und unter dem leise emporgerafften Saum des Kleids blickte ein Füßchen hervor, welches den Neid von tausend Damen zu erwecken vermochte.
    Diese beiden Mädchen waren in ein sehr eifriges Gespräch vertieft. Sie führten dasselbe, obgleich sie sich ganz allein befanden, doch mit unterdrückter Stimme. Es war daraus zu erraten, daß sie sich vielleicht sehr wichtige und doch sehr jungfräuliche Geheimnisse mitzuteilen hatten.
    „Aber, liebe Marion“, sagte die Blonde, „davon habe ich bisher ja gar nichts gewußt. Ich denke, wir haben niemals ein Geheimnis gehabt, und nun erfahre ich zu meinem Erstaunen, daß du gerade das allerwichtigste, was es für ein Mädchen gibt, mir so lange Zeit und so hartnäckig verschwiegen hast!“
    Die Brauen der Brünetten zogen sich leicht zusammen, und sie antwortete:
    „Ich habe mich keiner ungerechtfertigten Zurückhaltung gegen dich schuldig gemacht, meine gute Nanon. Ich habe dieses Geheimnis ja erst aus dem letzten Brief erfahren, welchen Papa mir schrieb. Hier, lies selbst.“
    Ihre Stimme klang kräftig, voll und rein wie Glockenton. Man hörte es ihr an, daß sie vom gebieterischsten Befehl bis herab zum süßesten Liebesgeflüster aller Modulationen fähig sei. Es war das eine Stimme von seltener Fülle und dabei doch biegsam und weich; sie besaß die Kraft des Herrschens und die Innigkeit des Einschmeichelns; sie klang so sonor und doch so warm; ihr Ton schien nicht zwischen den Ligamenten des Kehlkopfes, sondern in der Tiefe der Brust gebildet zu werden, oder aus der untersten Kammer des Herzens, dem heiligsten Innern der Seele, zu kommen. Wer die Stimme hörte, wurde gebannt und ergriffen wie einer, der im Dunkel eines hohen Doms kniet und plötzlich aus der Höhe des Orgelchores wunderbare, zauberische Klänge aus dem Mund unsichtbarer Sänger erzittern hört.
    Marion griff in ein zierliches Saffiantäschchen, welches an ihrem Gürtel hing und dessen massiv goldener Bügel mit echten Ceylonperlen besetzt war; sie zog einen Brief hervor, welchen sie der Freundin reichte. Diese öffnete ihn und während sie las, nahmen ihre lieblichen Züge den Ausdruck des höchsten Erstaunens an; als sie das Blatt wieder zusammengefaltet hatte und es zurückgab, sagte sie unter einem bedenklichen Schütteln des feinen Köpfchens:
    „Das ist wirklich ganz außerordentlich! Du sollst schleunigst nach Hause zurückkehren, um den dir bestimmten Bräutigam kennen zu lernen. So hast du diesen Oberst, Graf Rallion, noch niemals
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