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53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

Titel: 53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten
Autoren: Karl May
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machen, was man wollte. Die Leute konnten nicht bleiben, denn die Stationen waren ihnen ganz genau vorgeschrieben, und die Kosaken trieben bald zum Aufbruch. Der Mann wollte die Leiche seines erfrorenen Kindes mit sich nehmen; aber der Anführer litt es nicht; er verbot es ihm.“
    „Welch eine Grausamkeit!“
    „So dachte ich auch. Aber man kann eine Leiche doch nicht stets bei sich führen. Sie muß begraben werden. Darum hatte der Anführer vielleicht doch recht. Er war auch nicht ganz so grausam, wie es scheinen mochte, denn er erlaubte dem Vater, das Kind noch schnell zu begraben. Es wurde nun der harte Schnee gar nicht weit von meinem Zelt entfernt. Aber der Erdboden war so fest gefroren, daß man mit den vorhandenen Werkzeugen kein Grab machen konnte. So begrub man also die Leiche einstweilen nur in dem Schnee, und ich versprach, sie später der Erde zu übergeben. Dann sprachen die Kosaken und Verbannten ein Gebet und zogen weiter.“
    „Wie verhielt sich die Mutter des Kindes dabei?“
    „Um sie war es mir eigentlich angst; aber sie war ganz still; sie tat gar nicht so, als ob die Sache sie etwas angehe, hielt die Arme immer so, als ob sie ihr Kind noch darauf trage, und sang leise vor sich hin, wie Mütter zu tun pflegen, wenn sie ein Kind einschläfern wollen.“
    „Mein Gott! Sie ist wahnsinnig gewesen.“
    „Das dachten wir auch. Aber konnten wir die Sache ändern? Also sie zogen fort, in den Schneesturm hinein. Es wurde kurze Zeit darauf Abend. Wir saßen um das Feuer und tranken heißen Tee und sprachen natürlich von den ‚armen Leuten‘, die wir von ganzem Herzen bedauerten, da – hörten wir plötzlich ein sonderbares Geräusch. Erst dachte ich, es heule in der Ferne ein Hund, der sich verlaufen habe und nicht weiterkönne; aber bald bemerkten wir, daß die Töne aus der Nähe kamen. Nun ging ich vor das Zelt, und woher denkst du wohl, daß die Töne stammten?“
    „Jetzt errate ich es – von der Stelle, an der das Kind begraben worden war.“
    „Ja, so war es. Ich eilte also hin, scharrte den Schnee gleich mit den Händen fort und sah dann, daß das Kind lebendig war. Es strampelte mit Armen und Beinen und schrie aus Leibeskräften. Sollte man so etwas für möglich halten! Es war ein Wunder!“
    „Nein, es war kein Wunder. Es läßt sich das sogar sehr leicht erklären. Denn, nachdem es in dem Schnee verscharrt worden war, tat dieser seine Schuldigkeit geradeso, wie wenn ihr euch die Nase mit demselben einreibt – und das Kind erwachte. Erzähle jedoch weiter!“
    „Ich habe nichts weiter zu berichten. Das Kindchen war Karpala.“
    „Ich meine im Gegenteil, daß du nun erst noch die Hauptsache zu erzählen hast. Was tatest du, als du das Kind in das Zelt brachtest?“
    „Ich gab es meinem guten Weibe Kalyna. Die nahm es an ihr Herz und gab ihm Tee zu trinken und Fleisch zu essen. Das Kindchen aß und trank wie ein Alter. Es war erst ganz blaurot am ganzen Körper. Bald aber färbte sich die Haut wieder weiß, und als nachher auch noch die schönen, hellglänzenden Haare wuchsen, nannten wir das Mädchen Karpala – die wie Schnee Glänzende.“
    „Aber die Eltern derselben? An diese mußtet ihr doch denken. Ihr wart verpflichtet, ihnen das Mädchen nachzuschaffen oder nachzusenden.“
    „Wir konnten nicht, denn während der Nacht stieg der Sturm zum Orkan, der mehrere Tage wütete. Und als er endlich aufhörte, lag der Schnee viele, viele Werst weit so hoch, daß es ganz unmöglich war, fortzukommen. Wir waren wochenlang eingeschneit, und erst dann konnten wir reiten und nach jenem Gefangenentransport suchen. Jedoch wir erfuhren nichts. So behielten wir dann das Kind bei uns und haben es wie unser eigenes gehalten. Nun sage uns, ob wir ein Verbrechen begangen haben.“
    „Ein Verbrechen allerdings nicht, vielleicht aber eine Unterlassungssünde. Habt ihr euch später keine Mühe gegeben, die Eltern zu entdecken? Ihr mußtet die Sache doch bei der Behörde melden; die hätte die Eltern sicher gefunden.“
    „Daran haben wir freilich nicht gedacht.“
    „Wie hieß denn der Vater?“
    „Das weiß ich nicht.“
    „Du weißt aber doch, daß er ein Deutscher gewesen ist?“
    „Das hörte ich freilich von zwei Kosaken, die von ihm sprachen. Er war verurteilt worden, und die Frau war ihm mit den Kindern freiwillig gefolgt.“
    „War er alt?“
    „Nein.“
    „Wie alt war der Knabe?“
    „Er konnte drei oder vier Jahre zählen.“
    „Und wo geschah das, was du mir jetzt
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