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53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

Titel: 53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten
Autoren: Karl May
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unser wirkliches Kind ist, so folgt sie dem Kosaken in seine Heimat, denn diese Heimat ist ja auch die ihrige.“
    „Wie? Was? Karpala ist eine Deutsche?“
    „Ja!“
    „Nein, das ist nicht wahr“, fiel der Fürst ein. „Sie ist eine Russin.“
    „Ihr Vater war ja aus Deutschland“, entgegnete seine Frau.
    „Aber ihre Mutter war eine Russin, und überdies ist sie in Rußland geboren.“
    Das war für Steinbach freilich höchst interessant, und da die beiden Eheleute sich in einer bedeutenden Erregung befanden, so beschloß er, dieselbe zu nutzen, um von ihnen ein Geständnis zu erlangen.
    „Bleibt ruhig, bleibt ruhig!“ bat er. „Ihr werdet so gut sein, mir zu erzählen, wie Karpala eure Tochter geworden ist.“
    „Nein, das werden wir nicht tun“, antwortete der Fürst, indem er sich langsam niedersetzte.
    „Ihr seid es mir schuldig.“
    „Nein, nein. Ich spreche von dieser Sache nicht. Karpala ist unsere Tochter, und das ist genug. Wie sie es geworden ist, das braucht niemand zu erfahren.“
    Da machte Steinbach mit Absicht ein möglichst enttäuschtes Gesicht und stieß in sehr bedenklichem Ton hervor:
    „Schade, jammerschade! Ich habe euch bisher für brave, ehrliche Leute gehalten. Jetzt weiß ich gar nicht, was ich von euch halten soll. Da ihr mir alles verschweigen wollt, kann ich eigentlich nichts Gutes, sondern nur Böses von euch denken.“
    „Ich erschrecke! Wer kann uns etwas nachsagen?“
    „Bis jetzt niemand. Aber was werden die Leute sagen, wenn ihr vor die Polizei und vor das Gericht gefordert werdet.“
    „Vor die Polizei? Wir? Herrgott! Dazu gibt es doch gar keinen Grund.“
    „O doch! Einen sehr triftigen. Ihr habt ein fremdes Kind bei euch und haltet es seinen Eltern vor. Ihr sagt nicht, wem es gehört. Es ist also sicher, daß ihr ein Verbrechen auf dem Gewissen habt, und gerade ich muß es sein, der es entdeckt und euch der Polizei überliefert, ich, den ihr als euren Gast hier aufgenommen habt! Das tut mir sehr leid und ist traurig für mich, aber ich kann es nicht ändern; ich muß leider meine Schuldigkeit tun. Ich bin als Beauftragter der Kriminaljustiz gekommen und muß alles, was ich auch nur zufällig entdecke, bestrafen lassen. Doch ich bin gern bereit, noch alles zum besten zu kehren; aber wissen muß ich natürlich zuvor, wie es zugegangen ist.“
    „Nun, dann will ich reden, Herr. Es war im Winter, in einem schweren, harten Winter, in dem uns selbst die Rentiere erfroren, weil sich so starkes Eis gebildet hatte, daß sie nicht durch dasselbe zu dem Moos gelangen konnten, was ihnen zur Nahrung dient. Wir hatten unsere Zelte an der großen Straße aufgeschlagen, auf der die Verbannten nach dem Osten geschafft werden. Der Sturm pfiff schrecklich und wehte den Schnee in dickten Wolken vor sich her. Da kam ein Zug Gefangener und hielt bei uns an, um zu rasten –“
    „Waren sie in Schlitten?“
    „Nein. Damals gab es für sie diese Erleichterung noch nicht. Sie mußten laufen, selbst im Winter. Es waren über sechzig Personen, Verbannte und deren Familienmitglieder, die ihnen freiwilligt gefolgt waren. Sie trugen ihre wenigen Habseligkeiten bei sich. Ein Mann hatte einen Knaben auf dem Arm, den er kaum gegen die grimmige Kälte schützen konnte. Sein Weib trug ein ganz kleines Mädchen, das noch nicht ein Jahr alt sein mochte. Die Frau hatte ihre Kleidung vorn geöffnet und hielt das Kind an den nackten Leib, damit es von demselben erwärmt werde. Aber es war doch unnütz gewesen, denn als ich aus Mitleid sie in mein Zelt führte und sie das Kind von ihrem Herzen nahm, war es tot!“
    „Ja, tot, ganz starr und tot!“ bekräftigte die gutherzige Kalyna, indem sie in der Erinnerung an jene Stunde in ein lautes Weinen ausbrach. Der Fürst fuhr fort:
    „Das Herz tut mir weh, wenn ich mir das Weib vergegenwärtige. Es stand ganz starr da, den Blick auf die kleine Leiche gerichtet. Dann stieß sie einen Schrei aus, den ich nie vergessen werde, und sank auf den Boden nieder.“
    „Habt ihr nicht versucht, das Kind wieder ins Leben zurückzubringen?“ fragte Steinbach.
    „Ja, natürlich haben wir es getan.“
    „Und ist es wieder erwacht? War es nicht ganz tot?“
    „Nein. Könnte es denn sonst noch leben? Es war ja unsere Karpala.“
    „Ach so! Doch erzähle weiter!“
    „Wir waren freilich zuerst alle überzeugt, daß es tot sei. Der Vater war ganz untröstlich, und die Mutter hatte vor Jammer fast den Verstand verloren. Sie sagte nichts und ließ mit sich
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