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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Autoren: Karl May
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berühren; sie wußte nicht warum, aber eine innere Scheu sagte es ihr. Das war nicht das Auge oder die Stimme eines Bruders; sein Angesicht war hart, und seine Worte klangen herzlos. Und dann, als sie ihn von Tag zu Tag beobachtete, gewahrte sie die Blicke, welche er auf seinen Vater warf. Ein jeder dieser Blicke sagte: ‚Ich lauere nur auf deinen Tod!‘ Es wurde ihr Angst, sie ahnte ein Geheimnis, und in dieser Todesangst schrieb sie – bat sie mich, an Sie zu schreiben, damit Sie kommen und helfen möchten.“
    „Was ich tun kann, soll geschehen, wenn es angenommen wird“, versicherte er. „Die Operation soll morgen stattfinden?“
    „Ja. Man wird sie auf keinen Fall länger hinausschieben.“
    „Wann?“
    „Ich hörte, daß sie um elf Uhr vorgenommen werden soll.“
    „Werde ich vorher den Grafen sehen und sprechen dürfen?“
    „Ja, wenn Sie sich bei der Contezza melden.“
    „Wann wird sie mich empfangen?“
    „Kommen Sie um neun Uhr! Haben Sie bereits einmal den Stein operiert?“
    Er lächelte ein wenig.
    „Sehr oft, Señora. Ich glaube sogar, daß man mich für eine Kapazität auf diesem Feld hält.“
    „Ist die Operation sehr gefährlich?“
    „Um dies sagen zu können, muß man den Fall untersucht haben. Warten wir, bis dies geschehen ist!“
    „Ja, warten wir! Ich habe zu Ihnen ein unerschütterliches Vertrauen. Nur Sie allein werden Rettung bringen, wenn Rettung möglich ist.“
    Sie erhob sich, und er fragte traurig:
    „Sie wollen gehen, Señora?“
    „Ja; ich werde sehr leicht vermißt. Also, um neun Uhr kommen Sie?“
    „Ich komme! Darf ich Sie nicht jetzt begleiten, Señora?“
    Sie besann sich errötend und antwortete dann:
    „Es ist dunkel, und man wird uns nicht sehen. Ja, kommen Sie bis zum Schloß mit!“
    Sie verließen das Häuschen, und er reichte ihr den Arm. So hoch und stark er war, so war er doch kaum um einen halben Fuß länger als sie, und wer sie jetzt hätte so nebeneinander dahinschreiten sehen, der hätte sie jedenfalls für ein ganz auserlesenes Paar gehalten.
    Sie legten ihren Weg unter dem tiefsten Schweigen zurück, aber desto lauter waren die Stimmen ihrer Herzen. Er fühlte ihren Arm auf dem seinigen liegen, und er hätte es nicht gewagt, ihn fester an sich heranzuziehen. Es war ihm, als wandle ein überirdisches, unendlich höheres Wesen neben ihm her, ein Wesen, zu dem er anbetend emporschauen müsse, und als sie endlich vor dem Parktor standen, um Abschied zu nehmen, da zuckte es ihm zwar heiß und verlangend durch die Seele, aber seine Arme blieben gesenkt, und als sie ihm die Hand entgegenstreckte, da zog er dieses kleine, warme Händchen wohl für eine ganz, ganz kurze Sekunde an seine Brust, wagte aber nicht, sie mit seinen Lippen zu berühren.
    „Gute Nacht, Carlos“, sagte sie. „Ruhen Sie aus von Ihrer Reise!“
    „Ausruhen?“ fragte er. „Meine Seele ist ruhelos, bis sie die Ruhe des Grabes finden wird. Gute Nacht, Señorita!“
    Er wollte gehen, da aber faßte sie ihn abermals bei der Hand, trat nahe, ganz nahe an ihn heran und lehnte ihr Köpfchen an seine Schulter. Er fühlte ihren warmen, vollen Busen an seinem Herzen sich heben und senken, und er hörte ihre leise gesprochene Bitte:
    „Mein Carlos, vergib mir, und sei nicht unglücklich!“
    Da legte er doch die Hände um sie, zog sie innig an sich und flüsterte:
    „Wie kann ich glücklich sein, wenn du mir nicht aufgehen darfst, mein Licht, mein Stern, meine Sonne!“
    „Nur unsere Körper werden getrennt sein, unsere Seelen aber haben sich gefunden und werden einander nie verlieren! Gott sei mit dir!“
    Sie trat von ihm zurück und schlüpfte in den Park. Er stand außen und lauschte, bis ihre leichten Schritte verklungen waren, dann aber blieb er noch lange an derselben Stelle. –
    Gerade um dieselbe Zeit wurde in einem Zimmer des Schlosses ein Gespräch geführt, für dessen Belauschung Sternau jedenfalls sehr viel gegeben hätte. Es wurde von einem der beiden Chirurgen bewohnt, welche die Aufgabe hatten, unter Assistenz eines Arztes aus Manresa den Grafen von dem Stein zu befreien.
    Señor Gasparino Cortejo, der Advokat, befand sich bei ihm. Er hatte sich soeben erhoben, um sich zu verabschieden, und meinte mit seiner kalten, scharfen Stimme:
    „Also Sie glauben, daß die Operation absolut tödlich ist?“
    „Absolut!“
    „Werden Ihre Kollegen nicht Einspruch erheben?“
    „Sie werden nicht wagen, anderer Meinung als ich zu sein. Sie wissen, daß ich zu den
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