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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Autoren: Karl May
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Bewegung.
    „Fast möchte ich Ihnen das glauben, denn auch ich habe erfahren, wie allmächtig die Liebe ist. Aber lassen Sie uns von dem sprechen, was mich veranlaßte, Sie nach hier zu rufen.“
    „Ihre Zeilen waren unbestimmt. Sie ließen mich vermuten, daß der Graf sich in einer Gefahr befindet. Ich habe dann in Manresa gehört, daß er eine Operation erleiden soll?“
    „Allerdings, aber es gibt noch andere Gründe, welche mir Besorgnis einflößen, Gründe, welche ich nur gegen Sie erwähnen kann, da ich zu Ihnen ein so unendliches Vertrauen besitze. Ich weiß nicht, sondern ich ahne nur, daß der Graf sich auch noch in einer anderen Gefahr befindet, als diejenige ist, welche seine Krankheit befürchten läßt; aber da ich Sie nun bei uns weiß, bin ich ruhig. Es ist mir, als sei mit Ihrem Erscheinen jede Gefahr gewichen.“
    Bei diesem Bekenntnis leuchtete sein Auge auf; er streckte ihr beide Hände entgegen und fragte mit bebender Stimme: „So groß ist Ihr Vertrauen, Rosetta? Oh, dann ist es ja sicher, daß Sie mich noch lieben.“
    Sie legte die Hände in die seinigen und antwortete:
    „Ja, ich liebe Sie, Carlos, ich liebe Sie noch so innig, wie ich Sie bei unserem Scheiden liebte, und ich werde Sie so innig weiterlieben, bis ich einst diese Erde verlasse. Ich bin Ihnen bisher ein Rätsel gewesen, aber morgen werden Sie imstande sein, dieses Rätsel zu lösen, und dann werden Sie begreifen, daß die Trennung unser einziges Schicksal ist.“
    „Warum erst morgen? Warum nicht jetzt?“ hauchte er.
    „Weil meinem Mund das Wort zu schwer wird, was Sie morgen von der Wirklichkeit erfahren werden. Carlos, grollen wir dem Schicksal nicht, sondern suchen wir unser Glück in der reinen Freude darüber, daß unsere Herzen einander gehören, obgleich uns die Verhältnisse trennen. Lassen Sie uns ohne Leidenschaft sprechen und zu dem Thema übergehen, welches mich zu Ihnen führt.“
    Ohne Leidenschaft! Welch ein Verlangen! Die mächtigsten Gefühle stürmten auf ihn ein, aber er zwang sich, ruhig zu sein, und führte sie zum Sessel.
    „Sie sollen hören, was ich von Ihnen wünsche“, begann sie. „Sie wissen, daß der Graf unheilbar blind ist. Zu diesem Leiden ist ein neues und höchst schmerzhaftes getreten; er leidet an einer sehr ausgebildeten Steinkrankheit, und die Ärzte, welche man zu Rate zog, behaupten, daß nur die Operation sein Leben retten könne. Er hat sich für diese Operation entschieden und seinen Sohn, den Grafen Alfonzo, aus Mexiko kommen lassen, um ihn noch einmal zu sehen, und damit der Erbe anwesend sei, wenn der Schnitt mißglücken sollte. Oh, das klingt so kalt und geschäftsmäßig, während es mir das Herz zerreißt. Ihr Männer spielt mit dem Tod und nennt dies Mut; mir aber schaudert vor einem solchen herzlosen Mut. Contezza Rosa liebt den Vater; er war ihr einziger Freund bisher, und sie war seine Hand, die ihn, den Erblindeten, durch das Leben leitete. Sie betet Tag und Nacht zu Gott, daß er gerettet werde, aber sie fühlt eine fürchterliche Angst, daß man den falschen Weg eingeschlagen habe. Die Ärzte sind finstere, kaltherzige Männer, denen sie kein Vertrauen schenkt. Der Notar und Schwester Clarissa, welche den Grafen fast keinen Augenblick verlassen, gleichen unheilvollen Dämonen, welche nach des Kranken Blut lechzen, und Graf Alfonzo, der Sohn, ach, wie unglücklich, wie sehr unglücklich ist die Contezza.“
    Sie legte das bleiche Gesicht in die Hände und weinte. Es war nicht jenes laute Weinen, welches das Herz von seiner Last erlöst, sondern jenes stille, unhörbare, welches keinen Laut, sondern nur Tränen und immer wieder Tränen hat. Sternau konnte nicht zusehen, er kniete vor ihr nieder, zog ihr die Hände von den überströmenden Augen und bat mit flehender Stimme:
    „Weinen Sie nicht, Señora. Sehen Sie mich an: Ich bin ein Riese, aber wenn ich weinen sehe, so muß ich vor Schmerz vergehen. Erleichtern Sie Ihr Herz, indem Sie mir alles mitteilen.“
    „Ich werde es tun“, antwortete sie, indem sie sich faßte und ihre Tränen trocknete. Dann fuhr sie fort: „Die Contezza war ein sehr kleines Mädchen, als sie den fortgehenden Bruder zum letzten Mal sah. Es vergingen fast sechzehn Jahre, und nun freute sie sich aus vollstem Herzen über seine Wiederkehr. Er kam, und sie eilte ihm entgegen, um an seiner Brust zu liegen; aber nur einen einzigen Schritt, dann blieb sie halten mit vergebens ausgestreckten Armen. Der vor ihr stand, den durfte sie nicht
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