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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Autoren: Karl May
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wiegte den Kopf leise hin und her, als sei er zweifelhaft, welche Antwort er geben solle, dann meinte er:
    „Es ist so ähnlich, wie Sie es erraten. Ich bin ein Deutscher und heiße Sternau, war jedoch längere Zeit erster Assistenzarzt bei dem Professor Letourbier in Paris, und dort erhielt ich vor kurzem die Bitte, schleunigst nach Rodriganda zu kommen.“
    „Ah so! Vielleicht finden Sie den Grafen gar nicht mehr am Leben.“
    „Warum?“
    „Er ist seit längeren Jahren blind, unheilbar blind, wie die Ärzte sagen, und in letzter Zeit hat sich ein arges Steinleiden bei ihm entwickelt, welches neben seiner außerordentlichen Schmerzhaftigkeit schließlich lebensgefährlich wurde. Nur die Operation kann ihm helfen. Er war bereit, sie vornehmen zu lassen, und ließ zu diesem Zweck zwei der berühmtesten Chirurgen kommen, fand aber ganz unerwarteten Wiederstand bei seiner einzigen Tochter, Contezza Rosa. Die Ärzte konnten jedoch nicht warten, und gestern hörte ich, daß heute der Schnitt vorgenommen werden sollte.“
    „O weh, so komme ich zu spät!“ rief der Fremde, indem er emporsprang. „Ich muß schleunigst fort. Vielleicht ist es noch Zeit.“
    „Schwerlich, Señor. Einen solchen Schnitt unternimmt kein Arzt in der Stunde der Dämmerung. Wurde er heute unternommen, so ist er bereits vorüber. Übrigens ist es möglich, daß man noch gewartet hat, da die gnädige Contezza die Operation von Tag zu Tag verschieben ließ, obgleich die Ärzte und auch der Graf selbst, ebenso sein Sohn, keinen Aufschub gelten lassen wollen.“
    „Der Graf Emanuel de Rodriganda-Sevilla hat einen Sohn?“
    „Ja, einen einzigen; der ist Graf Alfonzo, welcher eine lange Reihe von Jahren in Mexiko gewesen ist, wo der Graf höchst ausgedehnte und reiche Besitzungen hat. Er wurde jetzt nach Hause gerufen, um bei der Operation, welche ja den Tod zur Folge haben kann, gegenwärtig zu sein. Graf Emanuel hat natürlich vorher sein Testament gemacht.“
    „Welche Personen sind außer dem Grafen und seinen beiden Kindern auf Schloß Rodriganda noch zu erwähnen?“
    „Da ist zunächst Señora Clarissa, eine sehr entfernte Verwandte des Hauses. Sie ist Oberin des Stiftes der Karmeliterinnen zu Saragossa und zugleich die Duenna der jungen Gräfin, da dieselbe keine Mutter mehr besitzt. Schwester Clarissa ist sehr fromm, aber von Contezza Rosa nicht geliebt. Ferner ist da Señor Gasparino Cortejo, eigentlich Advokat und Notar hier in Manresa, der aber sehr viel auf Schloß Rodriganda verkehrt, weil er der Geschäftsführer des Grafen ist. Auch er ist sehr fromm und dabei außerordentlich stolz. Ich könnte auch noch den guten Kastellan Juan Alimpo und seine Frau Elvira erwähnen, sehr treue und brave Leute, die ich Ihnen empfehlen kann. Andere sind nicht zu nennen, da der Graf sehr einsam lebt.“
    „Kennen Sie nicht den Namen Mindrello?“
    „Oh, den kennt ein jedes Kind. Mindrello ist ein armer, ehrlicher Teufel, den man in Verdacht hat, daß er zuweilen ein wenig Schmuggel treibt; darum nennt man ihn gewöhnlich Mindrello, den Contrebandier. Aber Sie können ihm alles Vertrauen schenken. Er ist besser als mancher andere, der ihn verachtet.“
    „Ich danke, Señor! Nach dem, was ich vernommen habe, darf ich nicht länger hier verweilen. Buenas noches – gute Nacht!“
    „Buenas noches, Señor! Ich wünsche, daß Sie nicht zu spät kommen.“
    Doktor Sternau bezahlte das Genossene, ließ sich sein Maultier vorführen, schwang sich hinauf und ritt im Galopp davon.
    Der Tag neigte sich zu Ende, so daß Rodriganda vor Einbruch der Dunkelheit schwerlich zu erreichen war. Während das Maultier leicht und flüchtig auf der Straße dahinjagte, griff der Reiter in die Tasche und zog ein zusammengefaltetes Papier hervor. Der abgerissene Zustand desselben ließ vermuten, daß Sternau die darauf enthaltenen Zeilen bereits sehr oft gelesen habe, dennoch faltete er es jetzt während des Reitens wieder auseinander und las zum hundertsten Mal die von einer schönen, festen Frauenhand hingeschriebenen Worte:
    „Herr Doktor Sternau, Paris, Rue Vaugirard 24.
    Mein Freund!
    Wir nahmen voneinander Abschied für das ganze Leben, aber es sind Umstände eingetreten, welche mich zitternd wünschen lassen, Sie hier zu sehen. Sie sollen dem Grafen Rodriganda das Leben retten. Kommen Sie schnell, und bringen Sie Ihre Instrumente mit. Kehren Sie bei Mindrello, dem Contrebandier, ein und fragen Sie nach mir. Aber ich flehe Sie an, sehr schnell zu
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