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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Autoren: Karl May
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Züge des bösen Geistes zueinander in Widerspruch erscheinen läßt.
    „Wagen?“ fragte die Gräfin, indem sich ihr schönes Angesicht wieder rötete vor Indignation über den unhöflichen Empfang ihres Bruders. „Ich glaube, eine Gräfin Rodriganda-Sevilla hat zu jeder Zeit das Recht, sich den Zutritt in die Zimmer ihres Vaters zu verschaffen. Nicht auf meiner Seite liegt das Wagnis, sondern gerade ich selbst bin es, welche Rechenschaft darüber verlangt, daß man es wagt, eine lebensgefährliche Operation an dem Vater ohne mein Wissen vorzunehmen!“
    „Wir haben es so beschlossen, und dabei bleibt es. Entferne dich!“
    „Nicht eher, als bis ich den Vater gesehen und gesprochen habe! Wo ist er?“
    „Im Nebenzimmer. Dein unvorsichtiges Auftreten kann ihm das Leben kosten. Jede Aufregung, selbst die allergeringste, wird von unausbleiblichen Folgen für ihn sein. Ah, wer ist dieser Mensch hier?“
    „Es ist Señor Sternau, ein berühmter Arzt, den ich von Paris zu mir gebeten habe, um sein Gutachten über die Krankheit des Vaters zu vernehmen. Ich erwarte, daß seine Anwesenheit auch dir willkommen sein wird!“
    Der mit eingetretene Arzt zog die kalte Stirn in halb mißmutige und halb verächtliche Falten. Der Graf aber brauste auf:
    „Ein Arzt? Wer hat dir das erlaubt? Dies ist eine Eigenmächtigkeit sondergleichen! Ich hoffe, meinen Willen respektiert zu sehen! Du hast dich augenblicklich zurückzuziehen und diesen Menschen zu entlassen!“
    Bei dieser beleidigenden Rücksichtslosigkeit nahm das Angesicht der Gräfin die Blässe des Todes an, und sie mußte sich einige Augenblicke der Sammlung gönnen, ehe sie antworten konnte. Dann aber schien ihre herrliche Gestalt zu wachsen; sie streckte ihren schneeweißen Arm gebieterisch aus, und ihre Stimme klang hoheitsvoll wie diejenige einer Königin, als sie entgegnete:
    „Vergiß nicht, mit wem du sprichst! Hier hat nur der Graf de Rodriganda zu gebieten, und wenn er daran verhindert sein sollte, so besitze ich ganz dasselbe Recht wie du, an seiner Stelle zu befehlen. Die Operation wird nicht stattfinden, bevor dieser Señor den Kranken genau untersucht hat; ich will es so und werde verstehen, diesem Willen Nachdruck zu verschaffen!“
    Die Züge des jungen Grafen wurden schärfer; seine Stirnadern schwollen noch mehr, und seine Stimme erhielt einen geradezu heiseren Klang, als er, die Hand drohend erhoben, hart an die Schwester herantrat und ihr antwortete:
    „Du, du willst hier befehlen? Du, ein Mädchen? Pah! Die Operation findet statt, und dich werde ich durch die Dienerschaft entfernen lassen, wenn du nicht freiwillig gehst, und zwar augenblicklich. Ich bin gewohnt, nur das zu tun, was mir beliebt, das merke dir!“ Und sich an Sternau wendend, fuhr er diesen an:
    „Wer hat diese Tür eingetreten?“
    „Ich“, antwortete der Gefragte ruhig.
    „Mit welchem Recht, Unverschämter?“
    „Mit dem Recht, welches mir die verehrte Contezza Rodriganda gab. Mein Gehorsam ist also nicht im mindesten eine Unverschämtheit gewesen, vielmehr erkläre ich sehr gern, sehr aufrichtig und zugleich auch sehr ernst, daß ich noch hundert Türen eintreten würde, wenn die Gräfin es wünschen sollte!“
    Seine hohe, breite Gestalt schien sich bei diesen Worten noch zu vergrößern, und seine großen, ehrlichen Augen maßen den Grafen mit einem so milden, nachsichtigen Blick, als habe es der riesige Deutsche mit einem Schulknaben zu tun, mit dem man lind verfahren müsse. Das aber brachte diesen in noch höheren Grimm, er wandte sich von der Schwester ab, trat auf Sternau zu und drohte:
    „Fort, sage ich! Oder soll ich Sie vom Schloß hetzen lassen!“
    Sternau lächelte überlegen.
    „Ich bin auf den Ruf der Gräfin Rodriganda hier erschienen“, sagte er sehr gelassen, „um den Grafen, Ihren Herrn Vater, zu sehen. Das werde ich tun, trotz allen Widerspruchs und trotz aller Hunde, welche man auf mich hetzen möchte. Ich verstehe ebensogut mit Hunden wie mit Menschen umzugehen, und lasse es darauf ankommen, ob man mich zwingen wird, mich gegen beide mit ganz der nämlichen Waffe zu verteidigen!“
    „Elender!“ brüllte Alfonzo, indem er seine Faust wie zum Schlag erhob.
    „Señor de Rodriganda, sind Sie ein Graf, sind Sie ein Edelmann?“
    Diese Frage des Deutschen klang plötzlich so voll und scharf aus seiner mächtigen Brust hervor, und seine Augen schossen dabei einen so unwiderstehlichen Blick auf seinen Gegner, daß dieser unwillkürlich zurückwich. Dann
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