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317 - Die letzten Stunden von Sodom

317 - Die letzten Stunden von Sodom

Titel: 317 - Die letzten Stunden von Sodom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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war es gut für sie und ersparte ihm viel Arbeit.
    »Ich heiße Xij«, erwiderte der Knabe mit einem glockenhellen Stimmchen, das Melchior sofort verzauberte. »Ich bin nach Sodom gekommen, um... das Glück zu suchen.«
    Er sprach wie ein Hebräer, der lange Zeit in der Fremde gewesen war. Dass er bei diesen Worten wie eine Jungfer errötete, machte Melchior vor Lüsternheit rasend. Eins stand fest: Er musste diesen Bengel haben, und zwar noch heute Nacht!
    »Du hast es gefunden, mein Lieber.« Melchiors sehnige Hand berührte Xijs Unterarm und streichelte ihn. »Zufällig bin ich ein Mann von nicht geringem Einfluss, der viele Möglichkeiten hat, dich glücklich zu machen.«
    »Oh«, sagte Xij und fügte schnell hinzu: »Gestatte mir, meinen Oheim und seinen Knecht zu unterrichten, Hauptmann, denn Sie stammen aus dem hohen Norden und verstehen deine Sprache nicht.« Schon stieß er einen melodischen Singsang aus, der an den Flachshaarigen und den Klotz gerichtet war. Beide nickten.
    »Gestatte mir, dass ich dir meine Begleiter vorstelle, Hauptmann.« Xij deutete nacheinander auf die beiden. »Maddrax und Grao. Sie kommen aus Engelland und gehören zum Volk der Angeln.«
    Maddrax verbeugte sich höflich. Man sah ihm an, dass er eine gewisse Erziehung genossen hatte. Grao, sein Knecht, fletschte die Zähne. Melchior wusste nicht genau, wie er diesen Menschen einordnen sollte. Für einen Bediensteten war er vielleicht eine Spur zu selbstbewusst. »Wir sind Schiffbrüchige«, fuhr Xij fort. »Wir wollten eigentlich nach...«
    Irgendwo hinter ihr in dem Pulk der Wartenden ertönte plötzlich ein Schrei.
    Hauptmann Melchior reckte den Hals. Ein zerzauster Einäugiger löste sich aus der Schlange und schwenkte einen Arm. Dort, wo seine Finger hätten sein müssen, spritzten vier dunkelrote Fontänen Blut in die Luft.
    Die beiden Torwachen ließen von den drallen Huren ab, die sie betasteten. Aus dem Wachlokal sprangen zwei weitere Behelmte hervor, schwangen ihre Säbel und verlangten laut zu wissen, was der Grund für die Flüche war, die nun überall in der Schlange zu hören waren. Als sie den Einäugigen sahen, drängten sie sich zu ihm durch.
    »Hinfort, Diebespack!« Der hinter Xij in der Schlange wartende Kaufmann Lot schlug einem Ziegenbärtigen, der Einauge zu Hilfe kommen wollte, mit einem Knüppel aufs Ohr. Der Mann taumelte heulend zurück. Melchior kannte sowohl ihn als auch den Einäugigen: Letzterer war in der Unterwelt Sodoms als Langfinger bekannt. Ein hakennasiger Dritter versuchte nun, Einauges Handgelenk mit einem Strick abzubinden. Dessen Blut wiederum spritzte einem narbigen Tagedieb ins Gesicht, der Lot nun mit einem Krummdolch zu Leibe rückte.
    »Vorsicht!«, rief Xij.
    Lot fuhr herum.
    Aus Graos Umhang wuchs ein Säbel hervor – für Melchior sah es für einen Moment tatsächlich so aus –, der wuchtig und mit flacher Klinge von unten gegen den Unterarm des Narbigen schlug. Der Dolch flog durch die Luft. Der Narbige griff fluchend an seine Hüfte und zückte ebenfalls einen Säbel.
    Die am Stadttor wartenden Menschen spritzten von Angst getrieben mit lautem Geschrei auseinander, was wiederum die mitgeführten Tiere verschreckte. Ein Gaul ging wiehernd auf der Hinterhand hoch. Lots Gespann wollte sich in Bewegung setzen, doch der stämmige Kaufmann griff in das Zaumzeug und hielt es fest. Während Grao sich mit dem Säbel dem Narbigen entgegenstellte, ließ Hakennase von dem jammernden Langfinger ab, zog ebenfalls seine Waffe und warf sich fluchend ins Gefecht.
    Bevor Hakennase Grao jedoch behindern konnte, stellte Xij ihm ein Bein. Der Mann wankte nach vorn, und Maddrax’ gestreckte Rechte traf so wuchtig seinen Nacken, dass Hakennase zu Boden plumpste wie ein nasser Sack.
    Gleichzeitig gingen Lots Zugtiere endgültig durch; der Kaufmann konnte sie nicht mehr bändigen. Sie preschten voran und zogen Lot hinter sich her. Die Torwächter erwiesen sich als beherzt: Sie griffen ins Zaumzeug und brachten die Tiere nach wenigen Metern zum Stehen.
    Graos Säbel traf unterdessen den Hals des Narbigen mit der stumpfen Seite, doch mit so viel Kraft, dass der Mann zurücktaumelte und bewusstlos über Hakennase zusammenbrach.
    Melchior hatte kein Mitleid mit den Dieben: Es war sein Beruf, Sodom von solcherlei Geschmeiß zu befreien. Langfinger hatte sogar schon die Strafe für sein Vergehen erhalten und konnte sich dabei noch glücklich schätzen: Normalerweise hackte man Dieben die rechte Hand ganz

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