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317 - Die letzten Stunden von Sodom

317 - Die letzten Stunden von Sodom

Titel: 317 - Die letzten Stunden von Sodom
Autoren: Ronald M. Hahn
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konnte, die nicht seine eigene Schwester war. Er riss sich das Häkelmützchen vom Haupt und verbeugte sich.
    Mit ein paar gemurmelten Worten, die Xij die Stirn runzeln ließen, schob er sich an Matt und Grao vorbei. Er wollte den Ziegen folgen, die ihren Weg ungerührt fortsetzten.
    Plötzlich machte es » Klick« in Xijs Kopf. Und sie stellte erleichtert fest, dass ihr zumindest die Fähigkeit, auf eine Sprache umzuschalten, die sie in einer früheren Existenz schon einmal gesprochen hatte, geblieben war. Der Junge sprach Hebräisch!
    Obwohl es wohl eher Sache eines Geschlechtsgenossen gewesen wäre, das Wort an den Ziegenhirten zu richten, hatte Xij keine Wahl: Sie lief an dem Wägelchen vorbei und stellte sich ihm in den Weg.
    ***
    Matt Drax nahm den Inhalt des Wägelchens in Augenschein, als es an ihm vorbei rumpelte: Darin lagen altertümliche Kleidungsstücke, verkorkte irdene Behälter, ein hölzernes Essbesteck, in Leinen verpackte Dinge; Proviant vielleicht. Das alles wies nicht gerade auf Neuzeit hin.
    Während er noch überlegte, wie er sich dem Hirten verständlich machen sollte, sah er Xij an dem Wagen vorbeilaufen und sich ihm in den Weg stellen. Dass sie zu dem Jungen redete, überraschte ihn kaum. Schließlich wusste er um ihr Erbe und die damit verbundenen Fähigkeiten. Die Sprache kam Matt bekannt vor, ohne dass er sie sicher einordnen konnte. Arabisch vielleicht. Waren sie also im Nahen Osten gelandet?
    Worte gingen hin und her. Matt versuchte anhand der Körpersprache des Hirten zu erkennen, um was es ging. Der Junge hatte seine Mütze abgenommen; er schien sich zu entschuldigen. Xijs Gesten deuteten an, dass sie ihm großmütig verzieh. Der Junge atmete auf. Er wirkte erleichtert, hielt den Blick aber gesenkt.
    Xij deutete auf das Wägelchen und sagte etwas. Es klang fragend. Der Junge nickte bereitwillig. Xij entnahm dem Wagen eine Art Kutte mit Kapuze und einen Umhang jener Art, den man im Mittelalter – und davor – als Mantel bezeichnet hätte.
    Matt wollte sich gerade erkundigen, womit sie ihren Erwerb bezahlen wollte, als Xij beide Hände in die Taschen ihrer Armeehose steckte und darin herumwühlte. Die Rechte kam mit einer Münze wieder zum Vorschein, die Matt bei genauerem Hinsehen als Zwei-Euro-Stück identifizierte. Wo zum Henker hatte sie das denn her? Vermutlich, gab er sich selbst die Antwort, war es ein Erinnerungsstück an ihre Heimat Hamburg. Ihr Vater war ein wohlhabender Kauffahrer gewesen, bevor sein Bruder ihn ermorden ließ.
    Xij drückte dem Jungen die gold- und silberfarbene Münze in die Hand. Der biss hinein, nickte zufrieden und setzte sein Häkelmützchen wieder auf. Dann sagte er »Shalom« und folgte seinen Ziegen.
    »Ich weiß jetzt, wo wir sind«, entfuhr es Matt. »Israel!«
    »Ach, nee.« Xij hob die Textilien hoch und schüttelte sie aus. »Woran hast du das nur gemerkt?« Sie warf ihm die Kutte zu und begutachtete den Mantel von allen Seiten. Er war fadenscheinig, löcherig und musste dringend unters Bügeleisen, doch um ihren Oberkörper zu verhüllen, war er ideal. »Allerdings weiß ich nicht genau, wie man das Land momentan nennt. Bis es Israel heißt, dürften noch rund zweitausend Jahre vergehen.«
    »Was hat der Junge gesagt?«, fragte Matthew.
    »Er hat sich entschuldigt, weil er auf meine...«, sie blickte auf ihren flachen Busen und lachte, »… nackten Schultern geschaut hat.«
    »Du hast Hebräisch mit ihm gesprochen – also warst du früher schon einmal hier?«, erkundigte sich Matt.
    Xijs Miene verdüsterte sich kurz. »Nur als Kind«, antwortete sie. »Danach musste ich in Ägypten Sklavendienste leisten. – Aber das ist eine andere Geschichte. Wichtiger ist, was ich sonst noch erfahren habe.« Sie deutete auf die Stadt in der Ferne. »Du wirst es nicht glauben: Es ist Sodom!«
    » Das Sodom?«, echote Matt. Natürlich kannte er die Geschichte von Sodom und Gomorrha aus der Bibel. Was aber nicht bedeutete, dass er an »Gottes Zorn« glaubte, der beide Städte wegen ihrer Sündhaftigkeit vernichtet haben sollte.
    »Sieht so aus«, antwortete Xij. »Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hat der Junge die Obrigkeit der Stadt ›verrucht‹ genannt. Er sagte, dass hinter ihren Mauern Sitten herrschen, die der Herr sicher nicht gutheißt.«
    »Der Herr?«, warf Grao ein.
    »Damit ist vermutlich Gott gemeint, nicht der Herrscher der Stadt«, erklärte Matt. »Bist du mit irdischen Religionen vertraut?«
    »Ich kenne zumindest ihre
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