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317 - Die letzten Stunden von Sodom

317 - Die letzten Stunden von Sodom

Titel: 317 - Die letzten Stunden von Sodom
Autoren: Ronald M. Hahn
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Standort einprägen für den Fall, dass sie von hier verschwinden mussten.
    Nach einigen Minuten kehrte Grao zurück. »Da drüben führt ein ausgetretener Pfad nach Norden, genau auf die Stadt zu. Ein Karawanenweg, schätze ich.«
    »Irgendwelche Reifenspuren oder sonstige Anzeichen von Zivilisation?«, fragte Matt, doch der Daa’mure schüttelte in einer menschlichen Geste den Kopf.
    Xij vernahm plötzlich das Knurren von Matts Magen und lachte. »Wir haben mehr gemeinsam, als ich dachte.« Sie klopfte auf ihren flachen Bauch.
    »Yeah.« Matt grinste. »Ich bezweifle allerdings, dass wir in dieser abgelegenen Ecke eine Imbissbude finden.« Er seufzte. »Und wenn doch – wir kennen nicht mal die lokale Währung.«
    »Ich würde sagen, dass wir uns auf den Weg zu der Stadt machen«, sagte Grao. »Dort werden wir Antworten finden.«
    »Ob es klug ist, sich so weit von dem Zeittor zu entfernen, ohne zu wissen, wo und wann wir sind?«, gab Matt zu bedenken.
    »Ihr könnt natürlich auch hier hocken bleiben und langsam verhungern«, meinte Grao lakonisch. »Dann gehe ich eben erst los, wenn ihr tot seid.«
    »Und wenn wir gleich wieder durch das Portal gehen und es woanders versuchen?«, schlug Xij vor.
    »Ohne vorher festzustellen, ob genau das hier die richtige Zeit sein könnte, um dem Streiter einen Strich durch die Rechnung zu machen?«, sagte Matt. »Außerdem habe ich ein mieses Gefühl beim Gedanken an die Seesternmonster. Es ist unsere Schuld, dass sie hier gelandet sind. Wir sollten sie töten, bevor wir aufbrechen, sonst stellen sie noch Gott weiß was an.«
    In diesem Moment wehte eine kalte Windbö über den See und der Himmel wurde noch finsterer. Ein einsamer Regentropfen klatschte auf Xijs Nase. Sie schaute zum Himmel auf. Schwarze Wolken trieben aus dem Osten heran. Die Luft kühlte sich rapide ab. Der Wind wehte Staub- und Sandkörner heran. Irgendwo in der Nähe meckerte eine Ziege.
    »Wenn wir zu der Stadt gehen, brauche ich neue Klamotten«, sagte sie. Nicht nur, weil sie plötzlich fröstelte. Ihre Sachen waren noch nicht ganz trocken.
    »Warum?«, kam es von Grao. Er hatte natürlich keine Probleme mit einem neuen Outfit. Als Gestaltwandler konnte er jede beliebige Form annehmen, die seiner Körpermasse entsprach.
    »In Epochen, in denen Mauern mit Zinnen zum normalen Bild einer Stadt gehörten, sah man es meist nicht gern, wenn junge Frauen allzu offenherzig herumliefen«, schöpfte Xij aus dem reichen Erfahrungsschatz unzähliger Leben. »Wenn mich ein Muselmane in diesem dünnen Top sieht, komme ich vom Regen in die Traufe.« In Venedig hatte man sie für eine Hexe gehalten und verbrennen wollen; das wollte sie in Zukunft gern vermeiden. Zumal ihre erste Existenz, die Hydree Manil’bud, nicht mehr in ihrem Geist war. Durchaus möglich, dass sie damit die Fähigkeit des Geistwanderns verloren hatte.
    Erst jetzt wurde Xij in aller Konsequenz bewusst, was das bedeutete: Ihr nächster Tod konnte der letzte sein! Und welche Fähigkeiten sie durch Manil’buds Trennung verloren hatte, war auch noch nicht abzusehen.
    Matt nickte. »In manchen Ländern mussten sich Frauen sogar zu meiner Zeit – also Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts – von Kopf bis Fuß verhüllen und die Welt nur durch fingerbreite Sehschlitze betrachten.«
    Grao runzelte die schuppige Stirn. »Welchen Sinn hatte das?«
    Matt verdrehte die Augen. »Dieses Thema sollten wir lieber nicht vertiefen. Besser ist es auf alle Fälle, wenn wir uns vorsorglich kultursensibel verhalten; da hat Xij völlig recht. Vorerst sollte meine Jacke genügen, damit man dich einen Knaben hält. Und später...«
    Erneutes Gemecker übertönte seine letzten Worte. Sie schauten sich um. Ein junger Mann, in eine Art Nachthemd gekleidet, kam einen Hang herab. Er hatte einen Stecken in der Hand und zog ein simples hölzernes Wägelchen hinter sich her. Zwanzig bis dreißig Ziegen, die ihren Weg zu kennen schienen, liefen ihm voraus. Die beiden Menschen am Ufer wurden von den Tieren neugierig beschnuppert. Grao, der geistesgegenwärtig die Gestalt des fahrenden Händlers Hermon angenommen hatte, gingen sie blökend aus dem Weg.
    Der Hirte war ein sonnengebräunter, schwarzlockiger Schmalhans von vielleicht fünfzehn Jahren. Beim Anblick von Xijs nackten Schultern quollen ihm beinahe die Augen aus dem Kopf. Als er Matt und Grao sah, schien ihm bewusst zu werden, zu welchem Resultat das allzu lange Verweilen eines Blickes auf einer Frau führen
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